Die Geschichte Der Kinder Hurins. Sonderausgabe.
machte einen unsicheren Schritt auf ihn zu, und er fing sie in seinen Armen auf.
»Endlich bist du gekommen«, sagte sie. »Ich habe zu lange gewartet.«
»Es war ein dunkler Weg. Ich bin gekommen, sobald ich konnte«, antwortete er.
»Aber du kommst spät«, sagte sie, »zu spät. Sie sind fort.«
»Ich weiß«, sagte er. »Aber du bist es nicht.«
»Noch nicht«, sagte sie. »Ich bin völlig erschöpft. Ich werde mit der Sonne gehen. Sie sind fort.« Sie griff nach seinem Mantel. »Viel Zeit ist nicht mehr«, sagte sie. »Wenn du es weißt, sag es mir! Wie hat sie ihn gefunden?«
Aber Húrin gab keine Antwort, und er setzte sich neben den Stein, mit Morwen in den Armen, und sie sprachen kein Wort mehr. Die Sonne ging unter, und Morwen seufzte und fasste seine Hand und war still; und Húrin wusste, dass sie gestorben war.
STAMMBÄUME
ANHANG
(1) DIE ENTWICKLUNG DER GROSSEN GESCHICHTEN
D iese miteinander verknüpften, aber unabhängigen Erzählungen hatten von Anfang an in der langen und komplexen Geschichte der Valar, Elben und Menschen in Valinor und den Großen Ländern eine Sonderstellung inne. In den Jahren, nachdem mein Vater die Verschollenen Geschichten unvollendet aufgegeben hatte, wandte er sich von Prosatexten ab und begann mit der Arbeit an einem langen Gedicht mit dem Titel Túrin son of Húrin and Glórund the Dragon , der später in einer überarbeiteten Fassung in The Children of Húrin umgeändert wurde. Dies geschah in den frühen Zwanzigerjahren, als mein Vater an der Universität Leeds tätig war. Für dieses Gedicht verwendete er den altenglischen Stabreim (die Versform des Beowulf und anderer Dichtungen jener Epoche) und unterwarf das moderne Englisch den anspruchsvollen Regeln der alten Dichter von Betonung und Alliteration. In dieser Kunst erlangte er große Meisterschaft, und dies in sehr unterschiedlichen poetischen Formen vom dramatischen Dialog in The Homecoming of Beorhtnoth bis zur Elegie in der Klage um die Gefallenen der Schlacht auf dem Pelennor. Das alliterierende Epos TheChildren of Húrin war bei weitem das längste seiner Gedichte in dieser Versform, mit insgesamt über zweitausend Zeilen; doch er plante es in einem so großen Maßstab, dass er in der Erzählung gerade erst bis zu dem Angriff des Drachen auf Nargothrond gekommen war, ehe er es aufgab. Vergleicht man das Fragment mit dem Text in den Verschollenen Geschichten , hätte es nach diesem Plan noch viele tausend weitere Zeilen zur Vollendung erfordert. Eine zweite Fassung, die er an einem früheren Punkt der Erzählung abbrach, ist ungefähr doppelt so lang wie die erste Version bis zu eben dieser Stelle.
In jenem Teil der Legende der Kinder Húrins, die mein Vater in Gedichtform erzählte, wurde die alte Geschichte im Buch der Verschollenen Geschichten erheblich erweitert und ausgeschmückt. Vor allem wurden jetzt die große unterirdische Festungsstadt Nargothrond und die weiten Lande ihres Reiches ins Leben gerufen (ein zentrales Element nicht nur in der Legende von Túrin und Nienor, sondern auch in der Geschichte der Ältesten Tage von Mittelerde). Die Beschreibung der Äcker und Obstgärten der Elben von Nargothrond gibt einen seltenen Einblick in die »Künste des Friedens« in der alten Welt, die sonst allenfalls flüchtig gestreift werden. Als Túrin und sein Begleiter (in diesem Buch ist es Gwindor) den Fluss Narog entlang nach Süden kamen, fanden sie die Lande nahe dem Eingang von Nargothrond dem Anschein nach verlassen:
… they came to a country kindly tended;
through flowery frith and fair acres
they fared, and found of folk empty
the leas and leasows and the lawns of Narog,
the teeming tilth by trees enfolded
twixt hills and river. The hoes unrecked
in the fields were flung, and fallen ladders
in the long grass lay of the lush orchards;
every tree there turned its tangled head
and eyed them secretly, and the ears listened
of the nodding grasses; though noontide glowed
on land and leaf, their limbs were chilled.
(›… kamen sie in ein Land, das wohl bestellt war; / durch Blumenraine und reiche Felder / zogen sie, und fanden von Volk leer / die Fluren und Auen und die Wiesen des Narog, / das satte Ackerland, von Bäumen umgeben, / zwischen Hügeln und Fluss. Die Hacken waren achtlos / in die Felder geworfen, und gefallene Leitern / lagen im langen Gras der üppigen Obsthaine; / jeder Baum dort wandte seinen belaubten Kopf / und beäugte sie
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