Die Geschichte eines Sommers
gequält. »Aber ich bin noch immer der Sohn meines Daddys.«
Sie dachte eine Weile darüber nach. Er hatte recht, zumindest bis zu einem bestimmten Punkt.
»Du magst zwar sein Sohn sein«, sagte sie, »aber du bist nicht so wie er. Ich hab dich lieb, wie du bist, Blade.«
Der Junge musste die Worte erst einmal verdauen. Dass ihm jemand offen gesagt hatte, er habe ihn lieb. Er hatte den Satz in dieser Familie zwar schon häufig gehört, aber noch nie von Swan. »Liebe«, das war kein Wort, mit dem sie um sich warf.
»Ich hab dich auch lieb«, sagte er schüchtern. Dann setzte er ein schiefes Grinsen auf und fügte hinzu: »Und ich werd dich immer noch eines Tages heiraten.«
»Verdammt, das wirst du nicht«, sagte Swan. »Du wirst immer mein Bruder sein.«
Manchmal, wenn es furchtbar heiß war, ging Samuel mit den vier Kindern zum alten Schwimmloch. Seit Jahren schon hatte er seinen Kindern schwimmen beibringen wollen, war aber immer zu sehr mit den Angelegenheiten des Herrn beschäftigt gewesen. Aber wenn er sie jetzt beobachtete, wie sie lachten und jauchzten und immer größer wurden, dann dämmerte ihm allmählich, dass das, was er hier tat, auch eine Angelegenheit des Herrn war. So wie er die Dinge sah, hatte Gott diesmal tatsächlich für einen guten Ausgang gesorgt.
Sein Leben als Farmer konnte Sam Lake nicht davon abhalten, Kranke zum Arzt zu fahren oder das Wort Gottes zu verbreiten, wie es seiner Berufung entsprach. Er erklärte den Leuten nicht nur mit Worten, Gott sei Liebe, sondern ließ auch Taten folgen: Manchmal bestand seine Botschaft aus einem Haufen grünem Gemüse und einem Scheffel lila Erbsen, die er vor der Tür einer hungrigen Familie ablegte, meistens zusammen mit einem Strauß Blumen. Und manchmal bestand sie auch darin, dass er jemandem, ohne mit der Wimper zu zucken, ins Gesicht sah, wenn die meisten Leute weggeguckt hätten.
Mittlerweile hatte Willadee das »Never Closes« wiedereröffnet und begonnen, den Stammgästen Hausmannskost zu servieren. Nach kurzer Zeit stellte sie den Alkoholverkauf ein und schloss das Lokal, noch bevor es Zeit wurde, ins Bett zu gehen. Von da an brachten die Männer ihre Frauen und Kinder mit, und Willadee erklärte Samuel, sie brauche ein neues Schild.
Also nahm Samuel das »Never Closes«-Schild ab und wollte ein neues malen, doch Willadee konnte sich nicht entscheiden, wie das Restaurant heißen sollte. Samuel hingegen hatte eine ziemlich genaue Vorstellung, also übermalte er das »N« von »Never« und das gesamte »Closes«, ersetzte es durch ein anderes Wort und nagelte das neue Schild wieder über die Hintertür. »Ever After« stand nun darauf.
Willadee fragte ihn, ob das Lokal nicht vielleicht eher »Happy Ever After« heißen sollte, doch Samuel war dagegen, weil er Glück für ein weiteres Wunder hielt. Je mehr man darüber redete, desto weniger Leute schienen zu glauben, dass es so etwas überhaupt gab. Wie Swan bereits gesagt hatte, gab es Dinge auf der Welt, die jeder für sich selbst herausfinden musste.
Eigentlich hätten sie überhaupt kein Schild gebraucht. Die Leute rochen Willadees Essen schon aus einer Meile Entfernung und erzählten davon im ganzen County. »Ever After« hatte jeden Abend außer sonntags geöffnet, denn Samuel war strikt dagegen, am Tag des Herrn Gewinn zu machen. Mit der Zeit kamen immer mehr Leute zum Abendessen, bis »Ever After« zu klein und auf den Hof ausgeweitet wurde. Samuel zimmerte Picknicktische und Bänke, die unter den ausladenden Kronen der Eichen aufgestellt wurden. Und auch diese Tische waren abends voll besetzt.
In der Abenddämmerung war der Hof der Moses stets von Autos zugeparkt. Gäste liefen hin und her und redeten mit anderen Gästen an anderen Tischen. Kinder spielten Fangen und versuchten Glühwürmchen zu erwischen. Manchmal konnte man die Fröhlichkeit förmlich in der Luft spüren. Die Leute saßen heiter an den Tischen und luden sich reichlich Gegrilltes, Kartoffelsalat, Baked Beans und Maiskolben auf die Teller, nicht zu vergessen Großmutter Callas würzig eingelegte Pfirsiche, und spülten alles mit Eistee hinunter, der in Schraubgläsern serviert wurde. Wenn sich in ihrem Magen dann noch Platz fand, krönten sie die Mahlzeit mit Willadees Bananenpudding oder einem großen Stück Schokoladencremetorte, und wenn sie keinen Platz mehr hatten, dann schufen sie eben welchen.
An den meisten Abenden, wenn Samuel vom Feld gekommen war und sich gewaschen hatte, nahm er sich einen
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