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Die Gewandschneiderin (German Edition)

Die Gewandschneiderin (German Edition)

Titel: Die Gewandschneiderin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doris Niespor
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aus dem Leibgurt in ihren Beutel umgepackt zu haben. Vielleicht gab es hier schönen Stoff für wenig Geld oder gute Garne. Auch über den Kauf einer zweiten, kleineren Nadel hatte sie schon nachgedacht. Sobald es nicht mehr regnete, würde sie sich hinter einem Busch verstecken und einige ihrer Münzen ans Tageslicht befördern.
Endlich ließ der Schauer nach.
Fettige Finger hinterließen dunkle Spuren auf groben Stoffen, Beutel wurden aufgehoben und Röcke vor der Nässe gerafft, dann war der Stand wieder leer.
    Rasch nahm Anna den Hund hoch, wich den Pfützen aus und näherte sich einem dichten Gebüsch. Sie warf je einen Blick nach rechts und nach l inks und huschte hinter die Sträucher. Die Röcke angehoben, tastete sie nach dem Leibgurt. Nachdem Evphemia sie um das andere Geld betrogen hatte, hatte Anna eine Schlaufe an einem der Fächer angebracht, sodass sie Münzen entnehmen konnte, ohne jedes Mal die Naht auftrennen zu müssen. Sie kramte einige Pfennige und ein Silberstück hervor und band den Gurt wieder zu. Die Münzen schob sie bis auf jene für die Pastete in ihren Beutel.
Als sie wieder hochsah, war ihr, als husche eine lange, schmutzig graue Gestalt zwischen den Sträuchern hindurch. Sie blinzelte verwirrt. Hatte sie sich nicht vorher genau umgeschaut? Konnte sie jemand mit hochgeschobenen Röcken beobachtet haben? Schon beim Gedanken daran überlief sie eine Gänsehaut, und die Schamesröte stieg ihr ins Gesicht. Vielleicht war es ein Tier gewesen. Aber welches Tier war so groß? Angestrengt lauschte sie in alle Richtungen, doch nur das Rauschen des Windes im Gebüsch war zu hören. Die Stille war alles andere als beruhigend, doch was konnte sie tun? Schließlich nahm sie sich zusammen, schob die Furcht beiseite und verließ zusammen mit ihrem Hund das Gebüsch in Richtung des Pastetenstandes.
Versuchung, Tod und Teufel
    Die Pastete mundete über alle Maßen gut. Saftig und mit einem unbekannten, aber wohlschmeckenden Gewürz versehen, war sie ihren Preis mehr als wert. Anna wischte sich die Hände am Rock ab, nachdem Bär jeden einzelnen ihrer Finger gründlich abgeschleckt hatte. Ein Blick zur Sonne zeigte ihr, dass noch Zeit blieb, einen Tuchhandel zu suchen.
Dicht an dicht drängten sich die Stände. Männer, Frauen und Kinder schoben sich durch die engen Durchlässe und blieben immer wieder stehen, das eine Mal an Suppenfeuern, dann wieder an Tandständen. Anna erhaschte einen Blick auf eine Auslage mit Bändern und Borten. Neugierig trat sie näher.
„He, ich steh hier schon eine Weile! Warte, bis du dran bist!“, schimpfte eine dralle Magd und stieß mit dem Ellbogen zu.
Anna hob entschuldigend die Hände. „Ich wollte nur schauen …“, murmelte sie.
„Das wollen wir alle, stell dich hinten an!“, mischte sich eine andere Frau ein.
Anna hatte genug, sie brauchte sowieso keine Bänder. Sie hatte ja nicht einmal Stoff, auch wenn sie dringend ein neues Unterkleid benötigte, nachdem das alte schon recht zerschlissen war. Sie löste sich aus der Menschenmenge und ging weiter. Überall wurden Waren feilgeboten, es gab zwar nicht so viel Auswahl wie im Herbst, aber der Frühling zeigte sich an allen Ecken und Enden. Die ersten Lämmer standen zitternd neben ihren Müttern zum Verkauf, die Hähne flatterten aufgeregt in ihren Käfigen umher, als ahnten sie, dass ihnen bald der Hals umgedreht würde.
    Schließlich entdeckte Anna den Stand, nach dem sie suchte. Schnell noch an Zundertaschen und allerlei Gerät vorbei, dann hatte sie es geschafft: Ballen über Ballen feinsten Tuches, farbig und sogar gemustert, stapelten sich auf einem Tisch. Darüber war ein Lattengerüst errichtet und mit gewachstem Tuch abgedeckt, sodass die Stoffe keinen Tropfen des Platzregens abbekommen hatten.
Froh, endlich wieder glänzende Stoffe zu sehen, hatte Anna schon die Hand ausgestreckt, als sie merkte, wie unhöflich diese Geste war. Beschämt wich sie zurück und wandte sich der Händlerin zu. Trotz der Frühlingskühle trug diese ein kurzärmeliges Kleid, das kräftige Arme bloß legte, und nicht einmal Schuhe. Auf dem ältlichen Gesicht unter der dunklen Haarfülle, die mit ihren Silberfäden selbst einem gewebten Tuch ähnelte, kämpfte der Ausdruck von Empörung mit einem nachsichtigen Lächeln. Als Anna entschuldigend die Hände hob, trug das Lächeln den Sieg davon.
„Darf ich?“, bat Anna.
„Hast du auch saubere Hände?“
Anna zeigte die Finger vor. Bär hatte ganze Arbeit geleistet,

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