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Das alte Königreich 02 - Lirael

Titel: Das alte Königreich 02 - Lirael Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Garth Nix
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PROLOG
     
    Es war ein heißer, schwüler Tag. Überall, von ihren Brutplätzen an den faulig riechenden Röhrichtufern des Roten Sees angefangen bis hinauf zu den Hängen des Bergs Abed, gingen Mücken in riesigen Schwärmen zum Angriff über. Kleine Vögel stießen auf die Insektenwolken hinunter und fraßen sich an ihnen satt. Und hoch über ihnen kreisten Raubvögel, um blitzartig anzugreifen und ihre kleineren Artgenossen zu vertilgen.
    Doch es gab eine Stelle unweit des Roten Sees, an der weder Mücken schwirrten noch Vögel flogen und wo kein Gras und auch sonst nichts Lebendes wuchs. Es war ein niedriger Hügel, keine zwei Meilen vom Ostufer entfernt, eine Anhöhe aus Erde und Steinen, ein kahler, seltsamer Fleck inmitten des üppigen Graslandes und des grünen Waldes an den nahen Berghängen.
    Dieser Hügel hatte keinen Namen. Falls er je auf einer Karte des Alten Königreichs aufgeführt gewesen sein sollte, war diese Karte längst verloren gegangen. Früher hatte es Farmen in der Gegend gegeben, doch nie waren sie näher als drei Meilen gewesen. Selbst als dort noch Menschen lebten, hatten sie den Blick von dem seltsamen Hügel abgewandt und nie von ihm gesprochen. Das nächste Städtchen war jetzt Kante, eine trostlose Niederlassung, die noch nie gute Zeiten erlebt hatte, die Hoffnung darauf aber nicht aufgab. Die Bürger von Kante wussten, dass es ratsam war, einen weiten Bogen um das Ostufer des Roten Sees zu machen. Selbst die Tiere des Waldes und der Wiesen mieden die Gegend um den Hügel und hielten sich instinktiv von jedem fern, der sich dorthin begab.
    So wie der Mann, der am Waldrand stand, wo das Hügelland in die Ebene am See überging. Er war ein dünner, kahl werdender Mann in einer Lederrüstung, die ihn von den Fuß- bis zu den Handgelenken bedeckte und die mit Platten aus rot emailliertem Metall um den Hals und um jedes Gelenk – Schultern, Knie, Ellbogen – verstärkt war. Ein blankes Schwert lag über der Schulter des Mannes; er hielt die Waffe mit der Linken. Seine Rechte ruhte auf einem ledernen Bandelier, das sich über seine Brust spannte. Sieben Beutel hingen von diesem Gurt, der kleinste nicht größer als eine Pillenschachtel, der größte ungefähr faustgroß. Schwarze hölzerne Griffe hingen aus den Beuteln nach unten heraus – Ebenholzgriffe, über die seine Finger krochen, wie eine Spinne sich eine Mauer entlangbewegt.
    Jeder, der den Mann hätte sehen können, hätte gewusst, dass es Ebenholzgriffe von Glocken waren – und das wiederum hätte darauf hingewiesen, worum es sich bei ihm handelte: Die sieben Glocken der Schwarzen Kunst verrieten, dass er ein Nekromant war.
    Der Mann blickte einige Zeit auf den Hügel hinunter und bemerkte, dass er heute nicht der Erste hier war. Wenigstens zwei Personen standen auf der kahlen Anhöhe, und ein Hitzeflimmern deutete darauf hin, dass sich auch andere, weniger deutlich sichtbare Wesen dort aufhielten.
    Der Mann überlegte, ob er bis zur Abenddämmerung warten sollte; doch diese Wahl hatte er nicht. Es war nicht sein erster Besuch auf diesem Hügel. Macht lag tief unten in der Erde gefangen, eine Macht, die ihn über das Königreich hinweg gerufen und seine Anwesenheit an diesem Mittsommertag gefordert hatte. Selbst in diesem Augenblick rief sie ihn, und er konnte sich ihr nicht entziehen.
    Trotzdem behielt er so viel Stolz und eigenen Willen, sich dem Verlangen zu widersetzen, die letzte halbe Meile zu diesem Hang zu rennen. Es bedurfte seiner ganzen Kraft, und als seine Stiefel die nackte Erde am Rand der Kuppe erreichten, tat er es festen Schrittes und scheinbar ohne jede Hast.
    Eine der anwesenden Personen kannte er, und er hatte sie erwartet. Der Greis war der Letzte des Geschlechts, das diesem Ding unter dem Hügel diente; er handelte als lebende Leitung der Macht, die es vor dem Blick der Hexen in ihrer Eishöhle bewahrte. Dass der Greis tatsächlich der Letzte war – was auch die Tatsache bewies, dass er keinen Lehrling an der Seite hatte –, war beruhigend. Die Zeit war gekommen, da das Ding sich nicht mehr unter der Erde verstecken musste.
    Die andere Person kannte er nicht. Sie war eine Frau – oder vielmehr etwas, das einst eine Frau gewesen war. Sie trug eine Maske aus stumpfer Bronze, und die Schultern waren von dicken Fellen bedeckt wie bei den Barbaren im Norden. Die Felle waren so unnötig wie unbequem bei diesem Wetter. Überdies trug sie mehrere Ringe aus Bein an ihren seidenbehandschuhten Fingern.
    »Du bist

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