Die Giftköchin
sie ihm erstmal einen Schnaps. Nyyssönen ging zurück, klopfte an Linneas Fenster und bat sie um Pflaster. Linnea ließ ihren Verwandten ein, gab ihm Verbandszeug und legte sich dann auf ihr Bett, wobei sie die Hände auf die Brust drückte. Nyyssönen fragte, was ihr fehle. Wegen Lahtela brauche sie sich nicht zu sorgen, der sei aufbrausend und ein wenig empfindlich.
»Kauko, ich habe mich so aufgeregt, das schlägt mir aufs Herz. Ihr bleibt doch nicht über Nacht, nein? Ich würde mir so wünschen, daß ihr nach Helsinki zurüc k fahrt, dein Geld hast du ja wieder bekommen.«
Nyyssönen sagte, er wolle darüber nachdenken, aber es werde vermutlich nichts bringen, weil sie alle, auch Jari, einiges intus hätten, so daß keiner fahren könne.
Nachdem sich Kauko Nyyssönen mit dem Verband s zeug entfernt hatte, stand Linnea Ravaska auf und schloß die Haustür ab. Sie holte die Pillenschachtel aus der Handtasche, schöpfte in der Küche Wasser aus dem Eimer und schluckte zwei Tabletten. Von der Sauna klang das Gejohle der Männer herüber. Seufzend zog die alte Frau die Gardinen zu, kleidete sich aus, schlüpfte in ihr Nachthemd und taumelte ins Bett. Sie schloß die Augen, wagte aber nicht zu schlafen. Wenn sie weni g stens für den Notfall ein Telefon besäße, doch auch das hatte Kauko bereits im Winter verkauft. Linnea betete, dieser Besuch möge nicht wieder so verlaufen wie alle vorhergegangenen.
3
Der Sauna-Abend der drei Burschen dauerte bis in die Nacht. Sie veranstalteten einen Höllenlärm, sowohl drinnen als auch draußen, sie tranken Schnaps, schrien, rangen miteinander, rannten nackt auf dem Hof herum, riefen sich Blödsinn zu und lachten wiehernd darüber.
Linnea Ravaska versuchte, sich bei alldem zu en t spannen, aber ihr gestörter Herzrhythmus gab ihr keine Gelegenheit dazu. Für gewöhnlich kam sie mit ihrem Herzen gut zurecht, es machte ihr nicht oft zu schaffen, doch Kaukos allmonatliche Besuche brachten jedesmal ihr Leben durcheinander. Linnea Ravaska war nicht mehr jung, sie war 1910 geboren, und das bedeutete, daß sie in diesem Jahr achtundsiebzig würde, am 21. August, übrigens demselben Tag, an dem solch beme r kenswerte Persön lichkeiten wie Siiri Angerkoski [1] , Pri n zessin Margaret und Count Basie Geburtstag hatten. Margaret war noch ein ganz junger Mensch, aber Siiri und Count waren älter als Linnea, acht und sechs Ja h re. Beide waren bereits tot. An Siiris Begräbnis hatte Linnea aus Neugier sogar teilgenommen, als sie noch in Töölö wohnte. Es war eine sehr schöne Veranstaltung gewesen.
Wie schnell doch die Zeit vergangen war, das Leben war an Linnea vorbeigesaust wie im Flug. Als junges Mädchen hatte sie gedacht, alle Menschen über dreißig seien alt. Plötzlich war sie selbst dreißig geworden, nach einiger Zeit vierzig, das hatte sie nervös gemacht, und dann war Rainer gestorben, recht erleichternd in gewi s ser Weise. Bald darauf wurde sie bereits fünfzig, dann sechzig und siebzig, und jetzt näherte sie sich dem achtzigsten Lebensjahr. In diesem Alter waren die Jahre so kurz wie für junge Menschen die Monate, die letzten Jahre waren sogar wie zwei Wochen vergangen, jeweils eine Woche Sommer, eine Woche Winter. Wenn sie in diesem Zeitrhythmus weiterdachte, glaubte sie, im besten Falle noch zehn Wochen leben zu können, wenn überhaupt. Sie müßte bald einmal nach Helsinki zu ihrem alten Arzt, zu Jaakko, fahren und ihn fragen, wieviele Lebensjahre ihr noch blieben. Jaakko Kivistö war seit dem Krieg Hausarzt der Ravaskas gewesen, er war ein Freund vom Oberst. Als Linnea Witwe geworden war, hatte sie mit Jaakko ein paar Jahre eine Beziehung gehabt, äußerst nett und sauber. Mit Ärzten ins Bett zu gehen ist insofern angenehm, als sie nichts schmutzig machen. Die Beziehung hatte außerdem den Vorteil mit sich gebracht, daß Linnea auch jetzt noch, nach Jah r zehnten, in Jaakko ihren kostenlosen Arzt hatte. Er war zwar recht betagt, nur acht Jahre jünger als sie selbst, doch Linnea Ravaska vertraute den Ärzten der alten Schule, die sich noch Zeit nahmen, ihren Patienten zuzuhören. Außerdem war der Lizentiat der Medizin, Jaakko Kivistö, ein Kavalier. Das konnte man von Ka u ko Nyyssönen und seinen Kumpanen nicht sagen.
Um Mitternacht tappte Linnea in die Küche, trank ein Glas schalen Wassers und spähte durch einen Gard i nenspalt zur Sauna hinüber. Dort hatte die Feier ihren Höhepunkt erreicht. Das Gegröle der Betrunkenen war bestimmt bis ins
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