Die Giftköchin
Schuldschein? Den könne man ratzfatz einfach zerreißen und ihr in den Arsch stopfen! Kake hatte Linnea das Dokument aus der Hand gerissen und zerfetzt, den letzteren Teil der Drohung jedoch nicht wahrgemacht. Weinend hatte Linnea Ravaska die Schnipsel des Schuldscheins mit Handfeger und Scha u fel vom Fußboden aufgenommen und in den Küche n herd gesteckt. Dieses Ereignis lag nun schon viele Jahre zurück. Wegen dieser Geschichte hatte Linnea Ravaska endgültig ihr Vertrauen und ihre Liebe zum Neffen ihres verstorbenen Mannes verloren. Die Beziehung der be i den war seither angespannt, doch das störte Kake Nyy s sönen durchaus nicht. Er fand es sogar praktischer, daß die Alte nach Siuntio gezogen war, auf dem Lande kon n te er sich im Bedarfsfall besser vor der Polizei verstecken als in Töölö, wo er viel zu bekannt war. Derartige Situ a tionen hatte es bereits gegeben, die Beamten hatten mehrfach nach Kauko Nyyssönen gesucht, um ihn zu verhaften und vor Gericht zu stellen, aber auf dem Dachboden von Harmistos altem Kuhstall konnte er sich, besonders im Sommer, wochenlang aufhalten, ohne daß er Gefahr lief, entdeckt zu werden. Und a u ßerdem machte es auch ohne besonderen Grund Spaß, gemeinsam mit Freunden Ausflüge an die frische Lan d luft zu unternehmen, so wie jetzt. Oder, was meinten die Kumpels, war der finnische Sommer nicht schön, so mit Sauna und Schnaps zusammen genossen? Linnea R a vaska sah angewidert durchs Fenster zur Sauna hi n über. Die nackten Ungeheuer torkelten drinnen und draußen auf dem Rasen herum, einer erbrach sich auf dem Pfad, ein anderer pinkelte in die Ecke. Kauko Nyy s sönens unappetitlich aussehender, schlaffer, weißer Körper mit dem Bierbauch wankte über den Hof, wide r lich und furchterregend. Wie hatte sie nur diesen Me n schen als Baby wickeln und im Arm halten, seine Hös chen wechseln und gelbe Kinderkacke aus den Windeln waschen können? Aber als kleiner Junge war Kauko ganz anders gewesen, ein niedliches Kind, das sie ang e schaut und Oma zu ihr gesagt hatte. Das tat er alle r dings immer noch. Ekelhaft.
Linnea Ravaska dachte bei sich, daß wenn ihr Mann noch lebte, der Terror dieses versoffenen Bengels auf der Stelle aufhören würde. Oberst Ravaska war ein hitzkö p figer Mann gewesen, besonders wenn er getrunken hatte, und Linnea war sicher, daß Rainer seine Militä r pistole herausgerissen, Kauko Nyyssönen hinter die Sauna geführt und den Kerl dort wie einen Hund abg e knallt hätte.
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Zuerst endet das Urteilsvermögen, dann der Schnaps. Unter der Einwirkung dieses Naturgesetzes stellten Linnea Ravaskas Sommergäste in den frühen Morge n stunden fest, sie hätten nun lange genug zu dritt gefe i ert, unter Männern, ganz ohne weibliche Gesellschaft und Fürsorge; Linnea zählte wegen ihres hohen Alters nicht als Frau. So wurde denn eifrig und einstimmig beschlossen, mit dem Auto loszufahren, um die notwe n dige weibliche Gesellschaft und den für noch notwend i ger befundenen Schnaps zu holen.
Man begann, nach den abends abgelegten Kleidung s stücken zu suchen, ein hinreichender Teil davon wurde auch gefunden und mehr schlecht als recht übergez o gen. Dann schwankten die Burschen, sich gegenseitig stützend, über den Brunnenpfad zum Hof und ließen sich in ihren gestohlenen Wagen fallen, unter lautem Türengeknall und drohendem Knurren.
Linnea Ravaska fuhr in ihrem Bett hoch, als der M o tor aufheulte. Sie erhob sich, ging ans Fenster und sah, wie das rote Auto auf dem schmalen Sandweg zum Dorf raste. Die jungen Espen am Wegrand zitterten und raschelten noch lange, nachdem das Geräusch des Autos bereits verstummt war. Linnea wünschte sich inständig, daß das Trio beschlossen hätte, nach Helsinki zurückzufahren. Sie trat vors Haus und rief nach ihrer Katze, die sich erst jetzt unter dem Kuhstall hervorwa g te; gemeinsam mit ihr ging Linnea über den nachtfeuc h ten Rasen zur Sauna, um nachzusehen, ob die Gäste tatsächlich endgültig abgereist seien.
Eine niederschmetternde Enttäuschung erwartete sie dort. Es sah ekelerregend aus: Der Saunaraum war mit Birkenblättern und den Strünken der Zweige übersät, auf dem Wasserkessel fehlte der Deckel, leere Zigare t tenschachteln und zerschlagene Schnapsflaschen lagen auf den Bänken und dem Fußboden, die Kerze war auf den Steinen des Ofens geschmolzen, im Abfluß schwamm Erbrochenes.
Im Vorraum lagen noch einige Kleidungsstücke, und das bedeutete, daß der überstürzte Aufbruch der Gäste
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