Die Gilden von Morenia 05 - Die Meisterschaft der Glasmalerin
hatten, als er noch ein rechtmäßiger König war.
Rani war überrascht, sich am Fuße des Podests der Kathedrale wiederzufinden. Sie konnte sich nicht an die letzten Schritte erinnern, die sie dorthin geführt hatten. Ein starker Wind pfiff durch das Seitenschiff, und sie duckte sich tiefer in ihr Hermelingewand. Hier, im vorderen Bereich der großen Kirchenhalle, blies der Wind stärker, sammelte aus jedem leeren Fenster Kraft, das über dem Hauptschiff gähnte. Zumindest die Türen waren repariert worden. Die geschnitzten Portale, die Dartulamino zersplittert hatte, waren durch einfache Eichenpaneele ersetzt worden.
Rani nahm zuversichtlich die vier Stufen und verdrängte die Erinnerung an ihr letztes Erscheinen in der Kathedrale, an ihre hektische Suche nach dem Geheimgang hinter dem Altar. Hal half ihr die letzte Stufe hinauf, indem er ihre beiden Hände in seine nahm.
Seine Handflächen waren warm und trocken. Seine Berührung war fest. Sie senkte den Kopf und sank vor ihm auf die Knie, sich der Tatsache bewusst, dass die vier Jungen in dem Seitenschiff hinter ihr knieten, ihre kostbare Last vorsichtig absenkten. Hal sprach über ihrer gebeugten Gestalt und ließ seine Stimme für die Menschen erklingen, welche die Kathedrale erfüllten. »Ich grüße dich, Ranita Glasmalerin. Wir freuen uns, dich im Haus der Tausend Götter zu sehen.«
Rani spürte ihre Erinnerung erneut umherwirbeln, ein Hauch der Pracht, die sie gesehen hatte, die sie heraufbeschworen hatte. Die Götter standen jedoch bereit und hielten ihr unausgesprochenes Versprechen, sie ihr Leben ungestört leben zu lassen. Rani kreuzte die Arme über der Brust und sprach laut, auch wenn sie wusste, dass ihre Worte nicht zu allen getragen würden. »Gütiger Herr, die Freude ist ganz auf der Seite dieser bescheidenen Glasmalerin.«
»Uns wurde gesagt, dass du uns heute ein Geschenk darbieten würdest.«
»Ja, Euer Majestät.« Rani sah in sein Gesicht. Sie konnte die Knochen seines Vaters erkennen, die starken Wangen, die Shanoranvilli ben-Jair vom ersten Tage an, als sie dem uralten König begegnet war, gekennzeichnet hatten. Sie erinnerte sich, wie sie Vorjahren vor jenem Mann gekniet hatte, als sie als Erste Pilgerin in diese Kathedrale gekommen war. Sie zog Mut aus der Erinnerung, aus den Gedanken an all das, was seither geschehen war, an all das, was sie überlebt und erfahren und zu beherrschen gelernt hatte.
»Ja, Euer Majestät«, wiederholte sie, und dieses Mal konnte ihre Stimme von der gesamten Versammlung hinter ihr gehört werden. »Ich bin gekommen, um Euch ein Geschenk zu überreichen. Ich bin gekommen, um Euch das Symbol meiner Gilde zu überreichen und Euch, falls es Euch gefällt, um die Erlaubnis zu bitten, dass wir als die neu gestaltete Glasmalergilde in Morenia arbeiten dürfen.«
»Dann lass uns dieses Geschenk sehen.« Hal half ihr hoch, und sie bemerkte erneut, wie stark und fest seine Berührung war.
Ohne dazu aufgefordert worden zu sein, stiegen die vier Jungen auf das Podest und balancierten ihre Last mit Stolz aus. Sie setzten die Trage auf dem Boden ab und blickten zu Rani. Bevor sie jedoch vortreten konnte, um das prächtige Behältnis zu öffnen, deutete Hal auf den Mann, der ihm am nächsten stand. »Lord Farsobalinti, wollt Ihr Ranita Glasmalerin helfen?«
»Es wäre mir eine Ehre, Mylord.« Farso trat zu der Trage, aber er hielt inne, bevor er das Behältnis öffnete. Er nahm sich Zeit, Ranis Blick zu begegnen, ihr Gesicht zu betrachten. Sie las, dass er ihr gerne half, dass er stolz war, neben seinem König zu stehen. Aber noch stärker erkennbar war die Botschaft, dass er Frieden gefunden hatte. Er hatte den Tod seines Sohnes und den Wahnsinn seiner Ehefrau, den endgültigen Verlust Mairs, akzeptiert. Er trauerte noch immer um seine Familie, würde vielleicht ewig um sie trauern, aber er hatte seine Mission, seinem König zu dienen und für den Wiederaufbau Morenias zu arbeiten, erneuert.
Ranis Lippen verzogen sich zu einem Lächeln, und sie senkte den Kopf zu einem ganz leichten Nicken. Farso verbeugte sich tief und löste dann den Deckel des hölzernen Behältnisses.
Vor Jahren hätte sie Angst gehabt, das auf dem Samt ruhende Werk zu handhaben. Ihre Finger hätten gezittert, ihre Handflächen wären schweißnass gewesen. Sie hätte sich ihre Bestrafung vorgestellt, wenn sie es hätte fallen lassen.
Nun besaß Rani jedoch die Zuversicht der Beherrschung. Sie hatte die Arbeit in dem Behältnis
Weitere Kostenlose Bücher