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Die Glasfresser

Titel: Die Glasfresser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Giorgio Vasta
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umzudrehen.
    »Bin ich schon mal in Apecchio gewesen?«, frage ich.
    »Nein«, sagt sie. »Kenne ich nicht. Wo ist das?«
    »Ist nicht wichtig«, sage ich.
    »Willst du dahin?«
    »Nein.«
    »Warum willst du nach Rom?«, fragt sie noch einmal.
    »Wegen der Toten«, rutscht es mir heraus.
    »Was?«, fragt sie, dreht sich um und sieht mich an, die Kuppe des Ringfingers zwischen den Zähnen.
    »Weil ich es nicht kenne«, sage ich.

     
    Als der Stein nach Hause kommt, sind der Lappen und ich schon im Bett. Wir liegen nicht im Bett, sondern sitzen darauf; er im Schlafanzug, ich angezogen. Die Betten stehen hintereinander an einer Wand des Zimmers. Sie passen perfekt hinein. Sie sind gleich. Ich und der Lappen, wir sind nicht gleich; ich bin entwickelt, er ist winzig und natürlich; ich despotisch, er demokratisch und kompromisslerisch.
    Während der Stein zum Abendessen in die Küche geht, hören ich und der Lappen Radio, stecken die Finger in die grob gewebte Wolldecke und schließen sie zur Faust, weil wir dieses Gefühl des Gefesseltseins mögen.
    Der Stein kommt ins Zimmer, die Lippen noch feucht vom Essen. Er macht das Radio aus, nimmt ein Buch von der Konsole und setzt sich zwischen uns. Das Buch ist groß, mit einem festen Einband, wie lackiert. Man sieht einen blonden, zarten Knaben, der in Tierfelle gehüllt ist, die Brust glatt, der Blick himmelblau und entrückt. Er spielt Harfe, zu seinen Füßen ein Schaf mit einem törichten Blick. Im Hintergrund Jesus bei seinem Einzug in Jerusalem; um ihn herum die weiß gekleidete, ihn verehrende Menge. Oben, in Blockschrift, DIE GRÖSSTE GESCHICHTE ALLER ZEITEN. Die grafische Synthese der Spiritualität aus der Sicht der Edizioni Paoline. Mildes Mahnen. Sanft-strenge Langeweile. Mitleiderregende Einfalt. Die Religion in Pastell.
    Die Pfeiler meines jungen, tapferen Atheismus.
    Schon als wir noch nicht lesen konnten, hat der Stein uns aus der Bibel vorgelesen. Er tut es nicht, weil er gläubig ist, und auch nicht zur Ergänzung des Katechismusunterrichts oder aus Respekt vor der Heiligen Schrift. Er tut es aus Gewohnheit. Um nichts zu versäumen. Wegen der stillen Kraft der Trägheit, die unser Familienleben regiert. Nur dass er schlecht liest, mit demütigem Eifer und einer schwankenden Stimme, die sich bei den Vokalen spreizt. Während der Lappen sich auf dem Bett mit den Füßen zum Kissen ausstreckt, nehme ich meine Zuhörposition ein: Rücken gerade, Nacken gegen die Wand, Arme verschränkt, Beine im Schneidersitz:
unbequem, aber konsequent; ich erschaffe mir eine atheistische Aureole.
    Eines Abends, beim Vorlesen, hat der Lappen auf das kleine Stück Wand gezeigt, an das ich mich lehnte. Ich habe mich umgedreht, und genau auf der Höhe meines Nackens war ein ovaler, glänzender Fleck, der sich von einer intensiveren Mitte her zu einem pfirsichfarbenen Ton abschwächte, bevor er in das Weiß des Putzes überging. Das war der Druck meines Hinterkopfs, die langsame Korrosion des Zuhörens. So pflege ich, wenn ich abends den Nacken gegen die Wand lehne, meine Aureole. Eher noch: meinen Nimbus. Denn nimbatus, sagt die Schrift, ist das Wort, das den Heiligen mit Strahlenkranz bezeichnet. Und Nimbus - ›kleine Wolke‹, ›Kreis aus duftiger Luft‹ - ist das Wort, das meine natürliche übernatürliche Umhüllung beschreibt.
    Gestern haben wir vom Propheten Jona gehört, der drei Tage im Bauch eines Wals bleibt und erfüllt von Worten ist, als er herauskommt. Heute hören wir von Hesekiel, dem Propheten des Glanzes. Er ist in ein blaues Gewand gekleidet, leuchtend und herrlich. Sein Kopf ist mit einem gelben Tuch bedeckt, sein Bart und seine Augenbrauen sind weiß. Hesekiel ist der Seher, der Bildmächtige, der reine und wahnsinnige Alte. Auch ich - der reine und wahnsinnige Junge - möchte durch die Welt ziehen und predigen, erfüllt von Worten wie Jona, voller Bilder wie Hesekiel, meiner Redelust freien Lauf lassen, diesem Fieber in der Kehle.
    Vor einigen Monaten, bei den Prüfungen der fünften Klasse, als ich erzählte und das Erzählen mich beflügelte, sich selbst beflügelte und mich berauschte und der Boden des Klassenzimmers um mich herum von Sonne überflutet war - Gugliotta, Chiri, D’Avenia und alle anderen saßen in ihren Bänken und hörten mir still zu, und in meiner Gesäßtasche war ein Stapel kostbarer Bildchen, das schwarze Gesicht von Beppe Furino gegen eine Pobacke gedrückt -, hatte ich das Gefühl, endlos weitermachen zu können und dass die

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