Die Götter - Ruf der Krieger - Grimbert, P: Götter - Ruf der Krieger - Les Gardiens de Ji, Tome 1: La volonté du démon
aber auch er hat einsehen müssen, dass die Dinge nicht immer so einfach sind, wie sie scheinen. Wie erzählt man einem Kind, dessen Glück einem am Herzen liegt, vom Jal, von den Dämonen, von Sombre? Und wann ist der richtige Zeitpunkt dafür? Es kommt einem immer zu früh vor – bis es eines Tages plötzlich zu spät ist. Jahrelang hat man seinem Kind etwas vorgemacht, und um ihm die Enttäuschung darüber zu ersparen, dass seine Eltern es angelogen haben, schweigt man weiterhin. Alles andere wäre zu schmerzhaft.
Meines Wissens hat sich bisher keiner meiner Freunde dazu durchringen können, der nächsten Generation jenes schwere Erbe aufzubürden, obwohl es um ein Geheimnis geht, das sie unmittelbar betrifft. So sind die Kinder von Eryne, Amanón, Zejabel, Nolan, Ke’b’ree, Niss und Cael ebenso ahnungslos, wie sie selbst es vor zwanzig Jahren waren. Sie glauben, wie alle anderen zu sein, dabei sind sie etwas ganz Besonderes. Sie sind vom Schicksal gezeichnet, denn durch ihre Adern fließt das Blut des Jal. Als wir ihnen das Leben schenkten, haben wir es ihnen vererbt. Es ist der Preis, den wir dafür zahlen müssen, dass wir Antworten auf unsere Fragen suchten. Wir verbrachten einige Zeit im Jal, sowohl in den Gärten des Dara als auch in der Unterwelt des Karu, wobei uns die rätselhafte Magie jenes Orts beeinflusste. Durch den Aufenthalt im Jal verlängerte sich unsere Lebensdauer, zugleich verringerte sich jedoch unsere Fruchtbarkeit: Die meisten von uns haben nur ein einziges Kind in die Welt gesetzt. Wir trösten uns mit dem Gedanken, dass unseren Söhnen und Töchtern ein ungewöhnlich langes Leben beschert ist. Sie werden sich bis ins hohe Alter eine sichere Hand und einen festen Stand bewahren – so wie Grigán mit seinen achtundachtzig Jahren.
Vor allem hoffen wir aber, dass unsere Vergangenheit sie nicht einholen wird.
Eigentlich müssten wir uns keine Sorgen machen. All unsere Feinde sind tot: Saat, Aleb, Gors der Zimperliche, Zamerine, Königin Agénor und selbst Sombre, der von allen der Mächtigste war. Der Erzfeind hat Sombre bezwungen, und die Prophezeiung hat sich erfüllt. Ein neues Zeitalter ist angebrochen. Ein Zeitalter ohne düstere Offenbarungen vom Weltuntergang. Ein Zeitalter, in dem die Zukunft noch nicht geschrieben ist.
Doch das bedeutet auch: ein Zeitalter, in dem alles geschehen kann, selbst das Unfassbare.
Lange Zeit lebten wir in Ruhe und Frieden, doch irgendwann kamen uns Zweifel. Amanón, der stets wachsam geblieben ist, schrieb uns, er mache sich Sorgen – ernsthafte Sorgen. In seinem Brief steht, wir sollten uns bereithalten.
Nur zu gern würde ich glauben, dass er sich irrt, aber Amanón ist niemand, der überstürzt handelt. Außerdem gibt es Anzeichen, Ereignisse, über die wir uns gegenseitig auf dem Laufenden gehalten haben und die sich, als wir die Mosaikteile erst einmal zusammengefügt hatten, zu einem schrecklichen Verdacht verdichteten.
Ein neues Zeitalter mag begonnen haben, aber wir dürfen nicht vergessen, dass die Geschichte eine Wiederkehr des Immergleichen ist.
Jeder Tod kündet von einer neuen Geburt.
ERSTES BUCH
DIE GRAUE LEGION
D amián stieg die fünf Stockwerke zu seinem Arbeitszimmer empor, ohne stehen zu bleiben. Dank seiner dreiundzwanzig Jahre und seiner hervorragenden körperlichen Verfassung kostete ihn das Treppensteigen keine Mühe. Zudem herrschte kurz vor dem Mit-Tag auf den Fluren und Treppen des Hauptquartiers der Grauen Legion ein ständiges Kommen und Gehen, und er wollte nicht von einem Kameraden angesprochen werden, dem gerade nach einem Plausch zumute war. Auch im obersten Stockwerk, in dem die ranghöchsten Legionäre untergebracht waren, verlangsamte er seine Schritte nicht. Der Mann, der auf dem Treppenabsatz Wache hielt, salutierte.
»Für Euch wurden zwei Berichte abgegeben, Ritter. Sie liegen auf Eurem Schreibtisch.«
Damián dankte dem Mann mit einem knappen Nicken und ging rasch weiter zu seinem Arbeitszimmer. Erst vor knapp zwei Monden war er in einen höheren Rang erhoben worden und hatte sich noch nicht daran gewöhnt, »Ritter« genannt zu werden. In Lorelia gab es nur elf Männer und Frauen dieses Dienstgrads, und in der gesamten Grauen Legion waren es nicht mehr als achtzig. Damián war von allen der Jüngste, und die Angelegenheiten, um die er sich zu kümmern hatte, waren keine, die man für gewöhnlich Anfängern anvertraute. Er konnte stolz sein auf seine Laufbahn.
Noch glücklicher wäre er
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