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Die Göttin der kleinen Siege

Die Göttin der kleinen Siege

Titel: Die Göttin der kleinen Siege Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yannick Grannec
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hocken? Für wen hielt sie sich? Anna stand wieder auf: Sei’s drum – ich gehe zurück!
     
    Sie klopfte nur kurz und betrat gleich das Zimmer. Adele Gödel schien von dieser Störung nicht überrascht zu sein.
    „Sie sind weder habgierig noch verrückt. Sie wollen sie doch nur provozieren! Diese kleine Macht, anderen auf die Nerven zu fallen – das ist alles, was Ihnen geblieben ist.“
    „Und die vom Institut? Was haben sie diesmal ausgeheckt? Wollen sie mir irgendeine obskure Sekretärin aufs Auge drücken? Ein nettes Mädel, nicht zu hübsch, damit ich mir als alte Frau nicht blöd vorkomme?“
    „Sie wissen ganz genau, wie wertvoll dieses Privatarchiv für die Nachwelt ist.“
    „Wissen Sie was? Die Nachwelt kann mich mal! Und Ihr Archiv werde ich vielleicht verbrennen! Und bestimmte Briefe meiner Schwiegermutter würde ich liebend gern als Klopapier benutzen.“
    „Sie haben kein Recht, diese Dokumente zu vernichten.“
    „Was glaubt das Institut denn? Dass die dicke Österreicherin die Bedeutung dieser Papiere nicht ermessen kann? Ich habe mehr als fünfzig Jahre mit diesem Mann zusammengelebt. Ich bin mir seiner Größe verdammt noch mal durchaus bewusst! Ich habe mein ganzes Leben lang seine Schleppe getragen und seine Krone gewienert. Sie sind genauso wie all die anderen verkniffenen Arschlöcher aus Princeton – Sie fragen sich, wie ein solches Genie eine so blöde Sau heiraten konnte. Doch keiner wollte jemals wissen, was ich an ihm gefunden habe.“
    „Sie sind wütend, aber nicht unbedingt auf das Institut.“
    Adele Gödel blickte sie mit ihren wässrigen blauen, rot geäderten Augen an, die zu den Farben ihres geblümten Nachthemds passten.
    „Er ist tot, gnädige Frau. Dafür kann niemand etwas.“
    Die alte Dame drehte den Ehering an ihrem gelblichen Finger.
    „Aus welcher Schublade mit Doktoranden hat man Sie denn gezogen?“
    „Ich habe keine besonderen wissenschaftlichen Qualifikationen. Ich bin Dokumentarin beim Institut.“
    „Kurt hat alle seine Notizen in Gabelsberger verfasst, einer mittlerweile vergessenen deutschen Kurzschrift. Selbst wenn ich Ihnen die Unterlagen geben würde, könnten Sie nichts damit anfangen.“
    „Ich beherrsche die Gabelsberger.“
    Adele ließ den Ring los und fasste sich ans Revers ihres Morgenrocks.
    „Wie das? Es gibt auf der ganzen Welt bestimmt nur noch drei Personen, die …“
    „Meine Großmutter war Deutsche, sie hat mir die Schrift beigebracht“, sagte Anna auf Deutsch.
    „Die vom Institut halten sich wohl für verflucht schlau! Ich soll Ihnen also vertrauen, nur weil Sie ein bisschen Deutsch daherstottern? Nur zu Ihrer Kenntnis, Fräulein Dokumentarin: Ich bin Wienerin, keine Deutsche. Und die drei Leute, welche die Gabelsberger beherrschen und transkribieren können, gehören nicht zu den zehn Personen, die Kurt Gödel begreifen können. Im Übrigen können das weder Sie noch kann ich es.“
    „Diesen Anspruch habe ich nicht. Ich will mich nur nützlich machen, indem ich den Nachlass inventarisiere. Danach können andere, wirklich kompetente Menschen ihn studieren. Das ist keine Laune und auch kein Diebstahl, es ist einfach ein Zeichen von Respekt.“
    „Sie sind ganz zusammengesunken. Das macht Sie alt. Richten Sie sich auf!“
    Die junge Frau korrigierte ihre Haltung. Ihr ganzes bisheriges Leben lang hatte sie sich das anhören müssen: „Deine Haltung, Anna!“
    „Woher kommen die Pralinen?“
    „Woher wissen Sie das?“
    „Eine logische Schlussfolgerung. Erstens, Sie scheinen ein braves, wohlerzogenes Mädchen zu sein und kommen nicht mit leeren Händen. Zweitens …“
    Adele deutete mit dem Kinn auf die Tür. Anna drehte sich um – eine winzige, runzlige Gestalt wartete in der Türöffnung. Ihr rosaroter, paillettenbesetzter Angorapullover war mit Schokolade verschmiert.
    „Adele, Tea Time!“
    „Komme gleich, Gladys. Wenn Sie sich schon nützlich machen wollen, Miss, dann fangen Sie damit an und helfen Sie mir aus diesem verchromten Sarg hier heraus.“
    Anna schob den Rollstuhl heran, klappte das Bettgitter herunter und schlug die Decke zurück. Sie zögerte, die alte Dame anzufassen. Adele drehte ihren Körper, setzte ihre zitternden Füße auf den Boden und forderte Anna mit einem Lächeln auf, sie zu stützen. Anna fasste sie unter den Achseln. Als Adele im Rollstuhl saß, seufzte sie vor Wohlbefinden, Anna vor Erleichterung. Sie war überrascht, dass sie sich mühelos wieder an die Handgriffe erinnert hatte, die

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