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Die Gordum-Verschwörung

Die Gordum-Verschwörung

Titel: Die Gordum-Verschwörung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd Flessner
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seines hohen Alters noch immer eine ruhige Hand und ein scharfes Auge zum ‘Buttgrabbeln’, wie diese Art des Fischens in Ostfriesland genannt wird.
    Das Haus der Yskers stand in der Sielstraße unmittelbar am Hafen. Greven betrat es durch die stets offene Hintertür, wie er es schon als Kind getan hatte. Der alte Ysker hockte in der Küche in seinem Hörnstuhl und las in der druckfrischen Zeitung. Allen Klischees von alten Kapitänen zum Trotz rauchte er weder Pfeife, noch trug er einen jener Bärte, die ihn jederzeit zum Auftritt als Weihnachtsmann befähigt hätten. Auch sein blauer Rollkragenpullover wies ihn nicht unbedingt als erfahrenen Seebären aus, schon gar nicht seine eher zarte, fast weiße Haut.
    „Moin, Gerd!“, begrüßte er Greven. „Na, du Detektiv, hesst du all een Spur? Hesst du all een verhaftet?“
    „Nein“, gestand Greven ein, „aber vielleicht kannst du mir helfen?“
    „Bi dat Verhaften?“
    „Nein, bei meinen Ermittlungen.“
    „Ersmol drinken wi een Kopke Tee“, antwortete der Kapitän und holte eine zweite Tasse aus dem Küchenschrank. Greven nickte, denn dass er längst auf Espresso umgestiegen war, konnte er ihm unmöglich erklären. Außerdem wusste er, dass der Kapitän keine Gegenwehr dulden würde. Nicht, wenn es um Tee ging.
    Viel konnte Ysker ihm indes nicht über Harm Claasen sagen, allenfalls seine Einschätzung bestätigen. Harm war ein Einzelgänger gewesen, hatte mit kaum jemandem aus dem Dorf wirklich etwas zu tun gehabt, war den Fischern, wenn möglich, aus dem Weg gegangen, war wortkarg, aber freundlich, und trotz seines eigenwilligen Lebenswandels eher unauffällig gewesen. Er war einfach da gewesen, hatte zum Hafengeschehen gehört, war lebendes Inventar gewesen. Jeder hatte ihn gekannt, ohne ihn wirklich zu kennen. Feinde schien er keine gehabt zu haben, sah man einmal von jenen ab, die sich an seinen langen Haaren und seiner Individualität gestört hatten. Aber das war offenbar nur eine kleine Minderheit. Nur der Hafenmeister hatte ständig Streit mit ihm gehabt; meist war es um die Liegegebühren und seine holländischen Freunde gegangen, die Harm hier und da auf seinem Kutter beherbergte.
    „Dat was noch een echten Hippie“, nickte der alte Ysker.
    Greven lauschte den Geschichten, die der Kapitän über Harm erzählte, ohne richtig zuzuhören. Es waren Anekdoten von kuriosen Buddelschiffen und Cannabispflanzungen irgendwo hinterm Deich, verborgen im Schilf, die sein Sohn eines Tages zufällig entdeckt hatte. Grevens Gedanken kreisten um die Zeichnung, die er schließlich aus der Jackentasche zog, als der alte Ysker sich dem Tee hingab. Da er nur einer vagen Ahnung folgte, verzichtete er auf eine längere Erklärung und eine präzise Fragestellung: „Kannst du mir sagen, was das ist?“
    Der alte Ysker glättete mit der flachen Hand das Papier auf dem Küchentisch, der mindestens so alt war wie er selbst, und studierte jedes Detail. Dann schmunzelte er, warf Greven einen wissenden Blick zu, trank einen Schluck Tee, ließ sich Zeit mit der Antwort, für die er das Hochdeutsche bemühte, so gut er konnte.
    „Een Kort“, versicherte er. „Dat is eine Smugglerkarte. Wenn Smuggler ihr Gut an der Küste versteckt haben, früher, versteihst du, haben sie solche Karten angefertigt. Die haben sie dann dem Empfänger der Smugglerware gegen Bezahlung ausgehändigt. Nur der Empfänger konnte sie lesen. Nur er kannte die Orte und Entfernungen. Die wurden oft vorher vereinbart oder befanden sich auf einem anderen Zettel. So war die Karte für jeden anderen völlig wertlos. Mein Opa hat solche Karten ...“
    „Aber diese Karte zeigt doch weder Land, noch See, noch Küste“, warf Greven ein.
    „Aber dat is ja gerade der Haken“, strahlte der Kapitän, „denn um so eine Karte anzufertigen, braucht man nur zwei bekannte Landmarken. Von diesen aus muss man die genaue Entfernung zum Versteck oder Lager kennen. Das ist alles. Die Wellenlinie hier, das ist die Küste. P und K sind die Landmarken, und G ist das Versteck. Das befand sich meistens auch in der Nähe einer Landmarke. Ein Gebäude oder großer Baum. Die Empfänger wussten auf jeden Fall Bescheid, wo sie zu suchen hatten. Die kannten ja die Smuggler und ihre Zeichen. Der Rest is Tüddelkram.“
    „Dann sind die beiden Zahlen an den Linien also Entfernungsangaben? Seemeilen oder so etwas?“
    „Genau, du Detektiv. Oder so etwas. Denn nur ein Stümper hat auf Seemeilen gesetzt. Die echten Smuggler haben

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