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Die Gottessucherin

Die Gottessucherin

Titel: Die Gottessucherin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Prange
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bin sicher, er wird uns die nötigen Beweise bringen.«
    »Des größten Kaufmanns der Stadt?«, wiederholte Cornelius. »Sprecht Ihr vielleicht von Francisco Mendes?« »Wie - Ihr kennt den Mann?«
    »Allerdings. Die Firma Mendes war das Handelshaus, in dem ich in Antwerpen tätig war, bevor die Jungfrau mir den Weg gewiesen hat. Die Filiale dort wird von Franciscos Bruder Diogo geleitet.«
    »Wahrlich eine himmlische Fügung.« Carafas dunkle Augen glühten, als er seine schwere Hand auf Cornelius Schepperings Schulter legte. »Ich glaube, gemeinsam werden wir in Zukunft noch einiges bewirken. Im Namen des Herrn!«
     
     

4
     
    Am Himmel über Lissabon waren schon die ersten Sterne aufgezogen, und abendliche Geschäftigkeit herrschte auf der Straße, als Gracia Nasi zusammen mit ihrer Schwester Brianda das Haus verließ, um sich schweren Herzens auf den Weg zur Mikwa zu machen, zum Badehaus, wo sie das rituelle Tauchbad nehmen sollte. Dienstmägde erledigten ihre letzten Besorgungen, Händler ihre letzten Auslieferungen - jeder hatte es eilig, nur Gracia nicht. Auch wenn sie sich dem Beschluss ihres Vaters und der Gemeinde beugen musste, Francisco Mendes zu heiraten, wollte sie doch wenigstens vor Gott und ihrem Gewissen ein Zeichen setzen, und das Tauchbad in der Mikwa war das größte Hindernis, das dieser ihrer Absicht im Wege stand. »Worauf wartest du?«, fragte Brianda. »Ich denke nach«, sagte Gracia.
    »Unsinn, es ist beschlossene Sache«, wiederholte Brianda die Worte ihres Vaters und stopfte sich ein Stück vom Kuchen der Gemeindefrauen in den Mund, das sie mitgenommen hatte auf den kurzen Weg von Santa Justa zum alten Judenviertel. »Es hat keinen Zweck, sich gegen das Schicksal aufzulehnen. - Hm, ist der lecker. Möchtest du auch mal probieren?« Sie bot ihrer Schwester von dem Kuchen an, doch Gracia schüttelte den Kopf. Am liebsten wäre sie davongelaufen - aber wohin? Das Tauchbad konnte sie nicht umgehen. Jede jüdische Braut musste sich am Vorabend der Hochzeit bei Mondaufgang diesem Ritual unterziehen, um sich von ihrer letzten Monatsblutung reinzuwaschen. Nur wenn sie das Bad genommen, den Segen erhalten hatte und noch zwei weitere Male untergetaucht war, war sie koscher, und der Bräutigam durfte ihr in der Hochzeitsnacht beiwohnen.
    Es gab nur eine Möglichkeit: Sie musste es irgendwie schaffen, das Tauchbad allein zu nehmen. Ob sie ihre Schwester einweihen sollte?
    »Ich will keine schwarze Taube sein«, sagte sie. »Und auch keine grüne.«
    »Was redest du da?«, fragte Brianda. Ohne die Antwort abzuwarten, stopfte sie sich den Rest von ihrem Kuchen in den Mund und sagte: »Hör auf zu grübeln, wir müssen uns beeilen. Die anderen warten schon.«
    Als sie das Badehaus erreichten, waren dort tatsächlich über ein Dutzend Frauen versammelt. Das rituelle Tauchbad war ein Fest, das Tanten und Cousinen und Freundinnen zusammen mit der Braut feierten. Da für die Reinigung lebendes Wasser vorgeschrieben war, befand sich das Becken in einem unterirdischen Tiefbau, auf der Höhe des Grundwasserspiegels. Eine enge steinerne Treppe führte in die Grotte hinab. Gracia betrat das Gewölbe, das die Frauen auch »Haus der Geheimnisse« nannten, zum ersten Mal. Schwarz und bedrohlich schimmerte das Wasser im flackernden Schein einer Fackel. Erst jetzt wurde ihr die ganze Ungeheuerlichkeit ihres Vorhabens bewusst, und ihr Mut, der sie eben noch im Streit mit ihrem Vater beseelt hatte, war verflogen.
    »Hier kannst du die Kleider ablegen«, sagte Sarah, die Gemeindeälteste, und zeigte auf eine steinerne Bank, auf der ein Stapel weißer Tücher lag.
    »Ich habe Angst«, flüsterte Gracia, und das war nicht gelogen. »Das haben alle«, lachte Sarah. »Aber glaub mir, dafür wird die Belohnung, die dich morgen erwartet, umso schöner.« Die anderen Frauen kicherten und stießen sich an. Während die ersten sich bereits auszogen, spürte Gracia einen Kloß im Hals.
    Sie konnte unmöglich vor all diesen wachsamen Augen in das Tauchbad steigen, ohne dass ihr Geheimnis offenbar wurde. Doch was konnte sie tun, um sie zu verscheuchen? Sie musste verrückt gewesen sein, als sie Rabbi Soncino belogen hatte. Plötzlich fühlte sie sich, als wäre sie nicht achtzehn Jahre alt, sondern erst acht. Mit zitternden Händen öffnete sie die Knöpfe ihrer Bluse. Ein paar Frauen waren schon nackt in das Becken gestiegen. Ohne sich voreinander zu genieren, lachten und planschten sie im Wasser. Gracia wusste, wenn ihr jetzt

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