Die Gottessucherin
die mit ihren nunmehr achtzehn Jahren von ihrem Vater und der jüdischen Gemeinde dazu ausersehen war, mit dem Kaufmann Francisco Mendes, einem der reichsten und angesehensten Männer Lissabons, den Bund der Ehe einzugehen.
2
»Nein!«, rief Gracia. »Ich will diesen Mann nicht heiraten! Er ist mir zuwider! Ich verachte ihn! Das wisst Ihr ganz genau! Außerdem ist er doppelt so alt wie ich!«
»Die Gemeinde und ich haben es so beschlossen«, erwiderte ihr Vater. »Es ist Gottes Wille! Also wird es geschehen!« »Gottes Wille? Ihr habt meine Seele an einen Verräter verschachert !«
»Auf dem Sterbebett musste ich deiner Mutter versprechen, einen guten Ehemann für dich zu finden, und wenn morgen die Sonne untergeht, habe ich mein Versprechen erfüllt. Francisco Mendes wird immer für dich sorgen. Die Ketubba, die wir aufgesetzt haben, ist der vorteilhafteste Ehevertrag, der je für eine Braut ausgehandelt wurde.«
»Vater hat recht«, sagte Brianda, Gracias jüngere Schwester. »Sieh nur die vielen Geschenke. Alle Mädchen in der Stadt beneiden dich.«
Es war der letzte Tag der »Mastwoche«, der Woche, die der Hochzeit vorausging. Seit sieben Tagen wurde Gracia von den Gemeindefrauen mit Kuchen und Naschwerk gefüttert, und am Nachmittag hatten die Vornehmsten der Gemeinde unter Führung von Rabbi Soncino und mit Hilfe von einem halben Dutzend Dienern die Geschenke des Bräutigams gebracht. Auf sämtlichen Tischen und Stühlen stapelten sich nun all die Gürtel und Schleier und Kränze, die Francisco Mendes geschickt hatte. Gracia wandte den Blick von ihren Reichtümern ab. Sie ekelten sie an.
»Wenn meine Mutter noch am Leben wäre - niemals hätte sie ihren Segen zu dieser Hochzeit gegeben! Mein Großvater stammte von König David ab! Er ist für seinen Glauben in den Tod gegangen!«
»Was willst du damit sagen?«, erwiderte ihr Vater. »Sollen deshalb alle Juden freiwillig sterben? Aus dir redet nicht König David, sondern der Hochmut der Jugend!«
»Nur weil ich Gott dienen will? Und wenn Ihr es zehnmal Hochmut nennt - lieber würde ich sterben, als meinen Glauben zu verraten wie Francisco Mendes. Dieser Heuchler schimpft sich Jude und ist doch ein Freund des Königs. Er geht bei Hof ein und aus, nur um mit den Edomitern unbehelligt seine widerwärtigen Geschäfte zu machen. Dabei nennen sie uns Marranen -Schweine!«
Mit Genugtuung beobachtete Gracia, wie ihr Vater bei dem Wort zusammenzuckte. Doch es dauerte nur einen Wimpernschlag lang, und er hatte sich wieder gefasst.
»Francisco Mendes ist kein Heuchler, sondern klug. Er passt sich den Verhältnissen an, wie jeder vernünftige Mann. Wir müssen den Schein wahren. Das ist unsere einzige Möglichkeit, zu überleben.«
»Den Schein wahren - wie ich das hasse! Unser halbes Leben verbringen wir damit. Wir besuchen ihre Messen, wir gehen zur Beichte, wir fasten an Karfreitag und bitten Gott am Jörn Kippur um die Entbindung von den Gelübden. Aber wenn wir den Sabbat heiligen und nicht arbeiten wollen, müssen wir so tun, als wären wir krank! Ihr habt sogar einen Priester gerufen, als Eure Frau im Sterben lag, nur damit kein Christ behaupten konnte, Mutter wäre als Jüdin gestorben!«
Gracia hatte gehofft, dass ihr Vater erneut zusammenzucken würde, doch er hielt ihrem Blick stand.
»Hast du einen Grund, dich zu beklagen?«, fragte er. »Ausgerechnet du? Nur weil wir so leben, wie wir leben, und es stets vermieden haben, Verdacht auf uns zu lenken, konntest du ohne Sorgen aufwachsen. Ja, die Christen warten nur auf eine Gelegenheit, uns Juden etwas anzutun, aber kein Mensch hat dir je ein Haar gekrümmt. Im Gegenteil. Du hast gelebt wie eine Prinzessin. Du hattest immer genug zu essen und besitzt einen Schrank voller Kleider. Die besten Lehrer von Lissabon haben dich unterrichtet. Du kannst lesen und schreiben und sprichst außer Portugiesisch noch Hebräisch und Französisch.« »Ihr habt Latein und Italienisch vergessen!« »Und wem hast du das alles zu verdanken? Deinem Großvater aus dem Hause David, der sich freiwillig hat abschlachten lassen, für nichts und wieder nichts? Oder Männern wie Francisco Mendes, die klug und umsichtig gehandelt haben?« Gracia war so wütend, dass sie kein Wort hervorbrachte. Ach, was hätte sie darum gegeben, wenn ihre Mutter und ihr Großvater noch da gewesen wären. Die beiden hätten sie verstanden und unterstützt ... Aber so? Sie wusste, sie war nur ein Mädchen, dessen Meinung nichts galt,
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