Die Gottessucherin
bin.«
6
Die Hochzeit fand an einem Dienstag statt. Francisco Mendes, gekleidet in einem Anzug aus Samt und Brokat, den der beste Schneider der Hauptstadt in sieben langen Wochen für ihn gefertigt hatte, hoffte beim Himmel, dass dies ein gutes Zeichen wäre. Denn vom Dienstag, dem dritten Tag der Schöpfung, steht in der Thora gleich zweimal geschrieben: »Gott sah, dass es gut war.«
Galt das auch für den Tag, an dem er Gracia Nasi zur Frau nahm ? Francisco hatte alles erreicht, was ein Mann im Leben erreichen konnte. Er besaß ein Dutzend Großsegelschiffe, und der halbe Hafen von Beiern mit seinen gewaltigen Speichern und Kontoren gehörte ihm. Seine Firma trieb Handel mit allen wichtigen Handelshäusern der bekannten Welt und unterhielt Niederlassungen in zahlreichen Städten Europas, von Antwerpen bis Konstantinopel. Er wurde respektiert von Kaufleuten und Reedern, vom Magistrat der Stadt Lissabon und vom König von Portugal, ja sogar Kaiser Karl V., der mächtigste Herrscher des Abendlandes, lieh sich von seiner niederländischen Filiale Geld. Aber all diese Erfolge und Ehren zählten nichts an diesem Tag. Heute zählte nur eine Frage: Würde es ihm gelingen, Gracia Nasi zu erobern?
Hundert Augenpaare fühlte er auf sich gerichtet, als er den Patio seines prächtigen Hauses betrat. Abgeschirmt von den Blicken der christlichen Nachbarn, war hier die jüdische Gemeinde versammelt und wartete auf den Beginn der Hochzeitszeremonie. Gracia thronte bereits auf dem golden lackierten Brautstuhl, flankiert von ihrem Vater und ihrer Schwester. Ihr Anblick schoss Francisco wie Feuer ins Blut. Das war die Frau, die er mehr begehrte als alle Schätze der Welt! Doch in sein Glücksgefühl mischte sich gleich bittere Galle. Gracias Miene war abweisend wie eine kalte weiße Wand - sie zeigte nicht die Spur eines Lächelns, um ihn willkommen zu heißen.
Rabbi Soncino, der die Trauung leitete, nickte ihm zu. Obwohl Francisco es sich selbst nicht eingestehen wollte, klopfte ihm sein Herz bis zum Hals, als er auf Gracia zuschritt. Den ganzen langen Vormittag hatte das Brautpaar schon miteinander verbracht, um alle möglichen christlichen Zeremonien über sich ergehen zu lassen, aber sie hatten noch kein einziges Wort miteinander gewechselt.
»Du, unsere Schwester«, sprach Rabbi Soncino den Segen über der Braut, »werde Mutter von tausendmal zehntausend.« Mit beiden Händen ergriff Francisco Gracias Schleier, um ihr Gesicht zu bedecken. Mit der Bedeckung der Braut verpflichtete sich der Bräutigam, sie von nun an zu schützen. Gracia ließ das Ritual ohne jede Regung über sich ergehen, doch als Francisco versuchte, ihr in die Augen zu sehen, bevor ihr Gesicht unter dem Schleier verschwand, wandte sie den Blick voller Verachtung ab. Francisco zog scharf die Luft ein, als er unter die Chuppa trat, den weißen Traubaldachin, der in der Mitte des Patios von vier jungen Männern gehalten wurde, und nur mit Mühe gelang es ihm, seinen Zorn zu unterdrücken. Doch als er sah, wie Gracia ihm folgte, zerstob sein Zorn wie ein Häufchen Staub im Wind. Gracias Schwester Brianda, die ihre tote Mutter vertrat, führte die Braut unter die Chuppa. Dort musste sie siebenmal den Bräutigam umkreisen - einmal für jeden Tag der Schöpfung. Dabei strahlte sie eine solche Unnahbarkeit aus, dass er sich noch stärker von ihr angezogen fühlte als je zuvor. Er konnte es kaum erwarten, dass es Abend würde und er endlich mit ihr allein sein könnte.
»Pru urwu!«, rief Rabbi Soncino und streute Weizen über die Brautleute. »Seid fruchtbar und vermehrt euch!« Francisco knurrte der Magen. Seit dem Morgengrauen hatte er gefastet, wie das Gesetz es verlangte. Auch am Hochzeitstag, dem Tag der Lebensfreude, soll das Fasten die Brautleute daran gemahnen, dass das Leben zu heiligen ist. Die Trauung fand nach dem Mittagsgebet statt, doch zuvor hatten sie über zwei Stunden in der Kathedrale zubringen müssen, um den katholischen Schein zu wahren. Francisco hatte Blut und Wasser geschwitzt. Er kannte Gracias Stolz und hatte während der ganzen Zeremonie Angst davor gehabt, sie würde mit irgendeiner Geste, mit irgendeiner Bemerkung ihren wahren Glauben bekunden. Ein falsch geschlagenes Kreuzzeichen reichte schon aus, um sie zu verraten, und Francisco konnte nicht ausschließen, dass sich in der übervollen Kirche Spitzel unter die Gäste gemischt hatten. Obwohl der König ihn öffentlich als seinen Freund bezeichnete, sogar mehrere Höflinge
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