Die Gottessucherin
Brianda ihr in das Becken, um bis zur Hüfte unterzutauchen. Ihr Anblick ließ Gracia für einen Moment die Angst vergessen. Brianda war so schön wie Susanna im Bade - man konnte kaum glauben, dass sie Schwestern waren. Gracias Name bedeutete »Liebreiz«, doch selbst wenn sie ihre teuren und prächtigen Kleider trug, von denen sie tatsächlich mehrere Dutzend besaß, empfand sie sich als so reizlos wie die katholischen Betschwestern, die sonntags in der Kathedrale in der ersten Bankreihe knieten. Brianda hingegen war mit ihren braunen Locken, den grünblauen Augen, dem vollen roten Mund und der hellen Haut eine wahre Augenweide, und obwohl sie zwei Jahre jünger war, überragte sie Gracia mit ihrer schlanken, wohlgerundeten Gestalt fast um Haupteslänge. Warum hatte Francisco Mendes nicht um ihre Hand angehalten?
»Was schaust du mich so an?«, fragte Brianda. »Ich dachte, du hast es eilig.«
Wie die Vorschrift es verlangte, ging Gracia in die Hocke, bis das Wasser ihren Körper umschloss. Dann presste sie die Lippen aufeinander und tauchte den Kopf unter, während Brianda dafür sorgte, dass kein einziges Haar aus dem Wasser hervorschaute. »Gelobt seiest du, Ewiger, unser Gott«, sprach Brianda beim Auftauchen den Segensspruch, »König der Welt, der du uns geheiligt hast durch deine Gebote und uns befohlen, das Tauchbad zu nehmen.«
Als Gracia zum dritten Mal untertauchte, kehrte ihre Angst zurück. Das Bad in der Mikwa sollte sie von jeder Unreinheit befreien. Aber wie konnte das Wasser sie reinigen, wenn der schlimmste Makel noch an ihr haftete?
»Wenn du mich fragst«, sagte Brianda, »bist du jetzt koscher.« Gracia konnte es kaum glauben - ihre Schwester hatte nichts gemerkt. Hatte die Dunkelheit sie vor der Entdeckung bewahrt? Oder tatsächlich Gottes Wille? Mit einem Gefühl der Erleichterung, das umso größer war, weil sie es so nicht erwartet hatte, stieg sie aus dem Wasser und nahm ein Tuch von dem Stapel, um sich abzutrocknen.
»Was ist das denn?«, fragte Brianda plötzlich. Gracia zuckte zusammen. »Was meinst du?« »Da, der Fleck auf deinem Tuch! Ist das etwa - Blut?« »Pssst«, zischte Gracia. »Nicht so laut!«
»Was hat das zu bedeuten?«, fragte Brianda leise. »Hast du etwa noch deine ...« Sie verstummte, während ihre Augen größer und größer wurden. »Nein, das kann ich nicht glauben!« Gracia sah am Gesicht ihrer Schwester, dass die endlich begriff. Das Geheimnis war entdeckt.
»Doch«, sagte sie, und obwohl ihre Knie ganz weich waren, wuchs angesichts von Briandas Entsetzen wieder ihr Mut. »Die zweimal sieben Tage sind noch nicht vorbei.« »Dann bist du also eine - Nidda, eine unreine Frau?« Gracia nickte, beinahe stolz.
»Bist du wahnsinnig?«, rief Brianda und hielt sich vor Schreck die Hand vor den Mund. »Das ist die schlimmste Sünde, die eine Frau begehen kann! Wenn dein Bräutigam dich morgen berührt, droht dir die Geißelstrafe!«
»Wenn Francisco Mendes erfährt, in welchem Zustand ich bin, wird er es nicht wagen, mich zu berühren. Er würde sich genauso versündigen wie ich mich.«
»Aber wenn ihm das egal ist? Du sagst doch selbst, er hat keinen Glauben.«
»Trotzdem - kein Jude, der je eine Synagoge betreten hat, würde das tun. Eher würde er Schweinefleisch essen.« Brianda war für einen Moment sprachlos.
»Wie kann das überhaupt sein?«, fragte sie schließlich. »Du musst doch Rabbi Soncino gesagt haben, wann du zum letzten Mal geblutet ...« Wieder verstummte sie mitten im Satz. »Hast du den Rabbiner etwa angelogen?« Gracia wich ihrem forschenden Blick aus.
»Wenn sie mich zwingen, diesen gottlosen Menschen zu heiraten, was bleibt mir dann anderes übrig ? Gott wird mir verzeihen.« »Soll das heißen, du willst dich mit deinem Blut deinem Mann verweigern - in der Hochzeitsnacht?«
»Ja«, sagte Gracia. »Gott ist bei mir, ich tue es ja nur, um einen Verräter zu strafen.« Sie schlug die Augen auf und blickte ihre Schwester an. »Außerdem - würdest du nicht genauso handeln,
wenn man dich zwingen würde, einen Mann zu heiraten, den du nicht liebst?«
Bei der Frage lief Brianda rot an. Gracia sah es mit Befriedigung. »Na siehst du?«, sagte sie. Dann schüttelte sie den Kopf, so heftig, dass sich jeder weitere Widerspruch verbot. »Nein, und wenn es zehnmal eine Sünde ist, den Rabbiner zu belügen - es ist die einzige Möglichkeit, meinen Widerwillen gegen diese Ehe zu bekunden. Und Gott zu beweisen, dass ich ihm treu
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