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Die Gottessucherin

Die Gottessucherin

Titel: Die Gottessucherin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Prange
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nichts einfiele, würden all diese Frauen gleich ihren Leib abtasten, sie mit ihren Augen und Fingern an ihren geheimsten Stellen berühren. In ihrer Verzweiflung beschloss sie, es mit der Wahrheit zu probieren - der halben Wahrheit zumindest. »Willst du dich nicht ausziehen?«, fragte Sarah. Gracia trug noch ein Hemd, das ihr bis zu den Knien reichte. »Ich ... ich schäme mich«, sagte sie. »Sie ... sie können mich doch alle sehen.«
    »Ja und?«, erwiderte Sarah mit einem Lächeln. »Du brauchst dich nicht zu schämen, wir sind doch unter uns. Niemand wird dir etwas weggucken.« Dann wurde ihr Gesicht ernst. »Wann hattest du zum letzten Mal deine Blutungen?«
    Gracia fühlte, wie sie rot wurde. Doch sie überwand sich und gab dieselbe Auskunft, die sie auch Rabbi Soncino gegeben hatte. Sie hatte die Sache angefangen, um Gott ihren Glauben zu beweisen.
    Jetzt müsste sie sie auch zu Ende führen.
    »Vor ... vor einer Woche«, stammelte sie.
    »Und hast du seitdem deinen Körper geprüft?«
    Sie wusste, was Sarah meinte. Als unrein galt eine Frau für die gesamte Dauer ihrer Regel sowie für weitere sieben Tage. Erst wenn sie nach Ablauf dieser Frist keine Spur von Blut mehr an sich fand, war sie für das Tauchbad bereit. Entsprechend legte der Rabbiner den Tag der Eheschließung fest.
    Gracia schluckte. Dann nickte sie mit dem Kopf.
    »Und hast du auch alles sorgfältig gewaschen?«
    »Ja, jeden Tag. Mit einem weißen Lappen.« Wieder nickte Gracia, in stummer Erwartung des Unabänderlichen. Wo war ihr Mut geblieben? Wo ihre heilige Zuversicht, vor Gott und ihrem Gewissen im Recht zu sein? Gleich würde Sarah ein Tuch nehmen und damit ihre geheimste Stelle erkunden. »Bück dich jetzt bitte.«
    Sarah hielt das Tuch schon in der Hand. Gracia nahm ihren ganzen Mut zusammen und sagte: »Ich ... ich möchte das Bad allein nehmen. Ich ... ich schäme mich so sehr.«
    Sarah schaute sie an, als habe sie nicht richtig verstanden. Die anderen Frauen verstummten. Auch Brianda blieb stehen und drehte sich um.
    »Das ist unmöglich«, erwiderte Sarah. »Wir müssen bezeugen, dass alles seine Richtigkeit hat.«
    »Aber ich habe doch gesagt, dass ich mich geprüft habe.« »Das reicht nicht. Du könntest ja lügen. Außerdem muss jemand dabei sein, um zu bezeugen, dass du den ganzen Körper unter Wasser tauchst.«
    Brianda sah die Bedrängnis ihrer Schwester und kehrte aus dem Becken zurück.
    »Ich bleibe bei ihr und prüfe, ob sie untertaucht. Vor mir schämt sie sich nicht.«
    »Bitte«, sagte Gracia. »Lasst mich mit Brianda allein. Wir wollen auch alles tun, was das Gesetz verlangt.« Sarah dachte nach. Gracia schien es eine Ewigkeit. »Also gut«, sagte die Gemeindeälteste schließlich. »Wenn es dir wirklich so peinlich ist ...« Dann klatschte sie in die Hände. »Raus aus dem Wasser! Zieht euch wieder an!« Vor Enttäuschung murrend wie die Gäste eines Festes, die ohne Grund nach Hause geschickt werden, bevor die Feier überhaupt begonnen hat, verließen die anderen Frauen das Becken und nahmen ihre Kleider. Nachdem die letzte aus dem Gewölbe gegangen war, wandte Sarah sich noch einmal an Brianda.
    »Aber versprecht mir, dass ihr die Vorschriften einhaltet! Kein einziges Haar darf aus dem Wasser ragen!«
     
    5
     
    Gracia fiel ein Stein vom Herzen, als die Schritte der Frauen endlich verklangen und sie mit ihrer Schwester allein in der Grotte war.
    »Was ist denn in dich gefahren?«, fragte Brianda. »Du schämst dich doch sonst nicht, wenn dich jemand nackt sieht.« »Bitte frag jetzt nicht«, sagte Gracia. »Bringen wir es hinter uns.« Sie streifte ihr Hemd über den Kopf und stieg in das schwarze Wasserloch. Sie fühlte sich, als würde sie in ein Grab hinabsteigen. Das Wasser war so kalt, dass sie eine Gänsehaut bekam. Was würde Brianda sagen, wenn sie ihr Geheimnis entdeckte? Ihre Schwester war zwar keine so große Gefahr wie Sarah und die Gemeindefrauen - jedes Stück Kuchen war ihr wichtiger als sämtliche Gebote der Thora zusammen -, doch was Gracia vorhatte, das hatte noch keine jüdische Braut gewagt, solange es eine Synagoge in Lissabon gab. Nur Gottes Wille konnte ihr helfen, damit ihr Geheimnis vor Brianda verborgen bliebe - Gottes Wille oder die Dunkelheit. Außer der Fackel gab es kein Licht in dem Felsgewölbe.
    Zum Glück machte Brianda keine Anstalten, mit dem Tuch ihre Scheide zu prüfen.
    »Kommst du endlich?«, fragte Gracia, bevor ihre Schwester es sich anders überlegte.
    Nackt folgte

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