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Die große Zukunft des Buches

Titel: Die große Zukunft des Buches Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco , Jean-Claude Carrière
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Lehren enthält, ist bloß ein einfaches Blatt. Am Anfang ist der Buddhismus ein einfaches Blatt; durch die Aufzeichnungen des Ananda sollte dieses einfache Blatt in der Folge Millionen Bücher hervorbringen.
     
    J.-P. DE T.: Ein Blatt, das erhalten geblieben ist. Vielleicht, weil alle anderen verschwunden sind. Wie soll man das wissen? Es ist der Glaube, der diesem Text besonderen Wert verleiht. Aber vielleicht war die eigentliche Lehre des Buddha ja in seinen Fußabdrücken enthalten oder in Dokumenten, die heute ausgelöscht oder verschwunden sind?
     
    J.-C. C.: Vielleicht wäre es wirklich interessant, uns in eine klassische dramatische Situation zu versetzen: Die Welt ist bedroht, wir müssen bestimmte Kulturgüter retten und an einen sicheren Ort bringen. Die Zivilisation ist bedroht, zum Beispiel durch eine Klimakatastrophe gigantischen Ausmaßes. Es muss schnell gehen. Man kann nicht alles retten, nicht alles mitnehmen. Was wählen wir aus? Welche Datenträger?
     
    U. E.: Wir haben gesehen, dass die modernen Datenträger sehr schnell veralten. Warum sollten wir uns mit Dingen befrachten, die womöglich bald stumm und unlesbar sind? Wir haben wissenschaftlich bewiesen, dass das Buch allen anderen Objekten, die unsere Kulturindustrie in den letzten Jahren auf den Markt gebracht hat, überlegen ist. Wenn ich also etwas retten will, was leicht transportierbar ist und unter Beweis gestellt hat, dass es den Unbilden der Zeit zu trotzen weiß, dann wähle ich das Buch.
     
    J.-C. C.: Wir vergleichen die moderne, unserem hektischen Leben mehr oder weniger angepasste Technik mit dem, was das Buch einst war, mit seiner Herstellung und seiner Verbreitung. Ich will Ihnen ein Beispiel dafür geben, wie dicht das Buch am Lauf der Geschichte sein kann, wie stark es sich ihrem Rhythmus anpassen kann. Um seinen Roman Les Nuits de Paris schreiben zu können, läuft Restif de la Bretonne durch die Hauptstadt und beschreibt einfach, was er sieht. Aber ist er wirklich Zeuge gewesen? Die Kommentatoren sind sich da nicht einig. Restif war bekannt als Phantast, der sich gern eine Welt ausmalte und sie dann für real ausgab. Jedesmal zum Beispiel, wenn er den Beischlaf mit einer Hure schildert, entdeckt er, dass sie seine Tochter ist.
    Die beiden letzten Bände der Nuits de Paris sind während der Revolution geschrieben. Restif zeichnet die Erlebnisse der Nacht nicht nur auf, am nächsten Morgen setzt und reproduziert er sie auch gleich auf einer Druckerpresse in einem Keller. Und weil er in diesen unruhigen Zeiten kein Papier beschaffen kann, klaubt er es während seiner Spaziergänge auf der Straße zusammen, Plakate und Anschläge, die er zu einer Masse von miserabler Qualität verkocht. Das Papier dieser beiden letzten Bände ist völlig anders als das derersten. Ein weiteres Merkmal seiner Arbeit: Aus Zeitmangel verwendet er Abkürzungen. Zum Beispiel schreibt er »Rev.« für »Revolution«. Das ist erstaunlich. Das Buch selbst zeugt von der Hast eines Mannes, der die Ereignisse um jeden Preis erfassen, der genauso schnell sein will wie die Geschichte. Und wenn die berichteten Tatsachen nicht wahr sind, dann ist Restif ein begnadeter Lügner. So hat er zum Beispiel einen Mann gesehen, den er den »Grabscher« nennt. Unauffällig streicht der in der Menge rings um die Guillotine umher, und jedesmal, wenn ein Kopf fällt, langt er einer Frau an den Hintern.
    Es war Restif, der von den Transvestiten sprach, die man damals, während der Revolution, »Effeminierte« nannte. Ich erinnere mich auch an eine Szene, von der Miloš Forman und ich lang geträumt haben. Ein zum Tode Verurteilter wird zusammen mit anderen auf dem Karren zum Schafott geführt. Er hat seinen kleinen Hund dabei, der ihm gefolgt ist. Bevor er auf das Blutgerüst steigt, wendet er sich an die Menge und fragt, ob ihn jemand nehmen will. Das Hündchen sei sehr anhänglich, betont er. Er hält es im Arm, er bietet es an. Die Menge antwortet mit Flüchen und Beschimpfungen. Die Wachen werden ungeduldig und reißen dem Verurteilten das Tier aus den Händen, er wird sofort hingerichtet. Winselnd leckt das Hündchen das Blut seines Herrn im Korb. Verärgert töten die Wachen es mit dem Bajonett. Da empört sich die Menge gegen die Gardesoldaten. »Mörder! Schämt ihr euch nicht? Was hat es euch denn getan, dieses arme Hündchen?«
    Ich bin etwas vom Thema abgekommen, aber die Herausforderung, die Restifs Buch darstellt – ein Reportage-Buch, ein Live-Buch –,

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