Die große Zukunft des Buches
Bruchstücke dieser langen Szene.
U. E.: Beim Comic war aber diese artifizielle Handhabung der erzählten Zeit schon länger gebräuchlich, scheint mir. Ich bin ein Fan und Sammler von Comics aus den dreißiger Jahren, aber ich bin außerstande, die neuesten Hefte zu lesen, die avantgardistischsten sozusagen. Gleichzeitig sollten wir davor die Augen nicht verschließen. Ich habe mit meinem siebenjährigen Enkel gespielt, der sich an einem dieser elektronischen Spiele versuchte, die er sehr liebt, und ich wurde empfindlich mit 10 zu 280 Punkten geschlagen. Dabei bin ich ein eingefleischter Flipper-Spieler, und wenn ich etwas Zeit habe, übe ich mich bei einem Computerspiel am Töten von Monstern aus dem All, in allen nur erdenklichen galaktischen Kriegen, durchaus mit einem gewissen Erfolg. Aber hier musste ich mich ergeben. Und doch wird auch mein Enkel, so begabt er sein mag, mit zwanzig vielleicht nicht mehr imstande sein, die neue Technologie seiner Zeit zu verstehen. Es gibt Wissensgebiete, auf denen es unmöglich ist, sich sehr lang auf dem neuesten Stand zu halten. Auf dem Gebiet der Nuklearphysik können Sie nicht länger als ein paar Jahre lang Spitzenforscher sein, unabhängig davon, welche Anstrengungen Sie unternommen haben, um sämtliche Ergebnisse mitzubekommen und sich auf dem Laufenden zu halten. Danach werden Sie akademischer Lehrer oder gehen in die Industrie. Mit zweiundzwanzig sind Sie ein Genie, weil Sie alles verstanden haben, aber mit fünfundzwanzig müssen Sie die Staffel abgeben. Das ist genauso wie bei Fußballspielern. Ab einem gewissen Alter werden sie Trainer.
J.-C. C.: Auf Empfehlung von Odile Jacob habe ich einmal Claude Lévi-Strauss besucht, sie hoffte, wir würden gemeinsam ein Gesprächsbuch schreiben. Er hat sehr höflich abgelehnt, mit der Begründung: »Ich will nicht wiederholen, was ich früher schon einmal besser gesagt habe.« Wunderbare Klarsicht. Auch in der Anthropologie kommt der Zeitpunkt, da die Spiele, Ihre Spiele, unsere Spiele aus sind. Lévi-Strauss konnte immerhin seinen hundertsten Geburtstag feiern!
U. E.: Ich bin heute nicht mehr imstande zu unterrichten, aus eben diesem Grund. Unsere unverschämte Langlebigkeit sollte uns nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Welt des Wissens beständig im Wandel ist und dass wir nur für eine zwangsläufig begrenzte Zeit wirklich etwas davon mitbekommen können.
J.-C. C.: Wie erklären Sie sich diese Anpassungsfähigkeit Ihres Enkels, der mit sieben Jahren schon diese neuen Sprachen beherrscht, die uns trotz all unserer Bemühungen fremd bleiben?
U. E.: Es ist ein Kind wie alle anderen seines Alters, seit dem Alter von zwei Jahren tagtäglich allen möglichen Reizen ausgesetzt, die meine Generation nicht kannte. Als ich 1983 meinen ersten Computer nach Hause brachte, war mein Sohn genau zwanzig Jahre alt. Ich habe ihm meine Neuerwerbung gezeigt und angeboten, ihm zu erklären, wie das Ding funktioniert. Er hat gesagt, das interessiere ihn nicht. Ich habe mich also in eine Ecke gesetzt und mich an die Erkundung meines neuen Spielzeugs gemacht, dabei bin ich natürlich auf jede Art von Schwierigkeiten gestoßen (Sie erinnern sich, das war die Zeit, als wir in DOS schrieben, aufder Grundlage von Programmiersprachen wie Basic oder Pascal, wir kannten noch kein Windows, das unser Leben dann veränderte). Eines Tages, als mein Sohn sah, dass ich Probleme hatte, kam er an den Computer und sagte: »Du solltest das eher so machen.« Und das Ding lief wieder.
Zum Teil habe ich mir dieses Rätsel so erklärt, dass er in meiner Abwesenheit ausgiebig am Computer herumspielte. Gleichwohl blieb die Frage, wie er das, wenn wir beide Zugang zu dem Gerät hatten, schneller lernen konnte als ich. Er hatte wohl eben schon das informatische Händchen. Sie und ich, wir haben bestimmte Handgriffe verinnerlicht, das Schlüsselumdrehen beim Autoanlassen oder das Anknipsen des Lichtschalters. Hier ging es ums Klicken, das einfache Drücken der Maustaste. Mein Sohn war mir da um Längen voraus.
J.-C. C.: Umdrehen oder Klicken – Ihre Bemerkung ist überaus lehrreich. Wenn ich an unseren Umgang mit dem Buch denke: Unser Auge wandert von links nach rechts und von oben nach unten. Bei der arabischen oder persischen Schrift oder auch beim Hebräischen ist es genau umgekehrt: Das Auge wandert von rechts nach links. Ich habe mich gefragt, ob diese unterschiedlichen Bewegungsrichtungen nicht auch Einfluss auf die
Weitere Kostenlose Bücher