Die Heilsame Kraft Der Inneren Bilder
in uns
Innere Bilder: Werde, der du bist
Das Thema der inneren Bilder hat schon der große griechische Philosoph Platon entfaltet. Er spricht von den Ideen, die die eigentliche Wirklichkeit darstellen. Die Dinge, die wir sehen, sind für ihn nur Abbilder der Ideen. Die Welt der Ideen ist nur dem Verstand zugänglich. Bei Platon gelten die Ideen als das wirklich Seiende. Sie haben also eine höhere Qualität als die nur abbildhaften Dinge in Raum und Zeit. »Nur durch die Teilhabe an den Ideen sind die Dinge, was sie sind, aus sich selbst haben sie keinen Bestand. Menschen, die dem bloßen Sinnenschein der Dinge verhaftet bleiben, leben nach Platon wie Gefangene in einer Höhle … Die Bildung des Menschen wird dagegen beschrieben als durchaus schmerzvoller Weg aus der Höhle ins Licht, aus der Verhaftung bei den Abbildern zur Erkenntnis der Urbilder.« (Frost 109) Bildung besteht für Platon darin, die Urbilder zu erkennen, die Gott jedem Ding eingeprägt hat. Und vor allem besteht Bildung darin, das Urbild meines Menschseins zu erkennen und es zu leben. Bildung heißt für Platon: sich die Ideen einbilden, die dem Menschsein zugrunde liegen, um in Berührung zu kommen mit seinem wahren Wesen als Mensch. Gebildet ist nach Platon nicht der, der viel weiß, sondern der, der sich die Idee eingebildet hat, die seinem Wesen entspricht. Und Bildung besteht nach Platon darin, sich die Ideen der Dinge, auch der geistigen Dinge wie die Tugenden von Gerechtigkeit, Tapferkeit, Maß und Klugheit, einzubilden. Hinter allem Guten, Schönen, Gerechten steht eine Idee. Und mit dieser Idee soll der Mensch in Berührung kommen.
Augustinus, der die Gedanken Platons in die christliche Philosophie und Theologie aufgenommen hat, versteht die Ideen als Gedanken Gottes. Der Gedanke der göttlichen Ideen wird dann in der mittelalterlichen Theologie aufgegriffen. Gott hat die gesamte Schöpfung »nach den in ihm enthaltenen ewigen und unwandelbaren Gründen oder Ideen (rationes, ideae) geschaffen« (Dreyer, LThK 393). Augustinus verbindet diesen Gedanken mit dem Prolog des Johannesevangeliums: »Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und das Wort war Gott.« (Joh 1,1) Christus selbst ist das Wort, durch das Gott alles geschaffen hat. Das heißt aber auch, dass in allen Dingen dieses göttliche Wort, die göttliche Idee eingebrannt ist. Wahres Wissen, das die Bildung vermitteln will, ist für Augustinus das Wissen um diese göttlichen Ideen. Sie bekommen wir durch Teilhabe an Gott, oder wie er es auch ausdrückt: durch Erleuchtung. Gottes Geist erleuchtet uns, damit wir in allem diese göttlichen Ideen erkennen.
Wenn wir auf dem Hintergrund der augustinischen Deutung der platonischen Philosophie nochmals einen Blick auf den Begriff der Bildung werfen, so heißt Bildung: sich das einmalige Bild einzubilden, das Gott sich von jedem von uns gemacht hat. Jeder Mensch ist einzigartig. Von jedem Menschen hat Gott sich ein Bild gemacht. Nur wenn wir diesem Bild Gottes in uns nahe kommen, gelingt unser Leben. Nur dann leben wir authentisch. Dann sind wir ganz wir selbst, so wie es unserem inneren Wesen entspricht. Es ist ein lebenslanges Ringen, um dieses einmalige Bild in uns zu entdecken und es immer mehr in uns einzubilden. Dabei können wir dieses Bild oft gar nichtbeschreiben. Aber es leuchtet auf, wenn wir im Einklang sind mit uns selbst, wenn wir das Gefühl von Stimmigkeit haben. Wir stimmen überein mit unserem inneren Wesen, mit unserem wahren Selbst. Und wir dürfen vertrauen, dass wir mit dem inneren Bild in Berührung sind, wenn unser Leben fließt und wenn es aufblüht.
Das innere Bild entspricht dem, was die stoische Philosophie das »autos«, das innere Heiligtum des Menschen nennt. Lukas bezieht sich auf dieses stoische Verständnis des »autos«, wenn er Jesus nach der Auferstehung sagen lässt: »Ego eimi autos = ich bin ich selbst«. Wer ganz er selbst ist, der ist im Einklang mit sich. Er muss sich nicht beweisen gegenüber anderen Menschen. Er
ist
einfach da. Er ist reines Sein. Wer mit seinem Selbst in Berührung kommt, der ist ursprünglich und authentisch. Die Bibel kennt verschiedene Bilder für dieses wahre Selbst des Menschen. Da ist einmal das Bild vom Schatz: »Verschafft euch einen Schatz, der nicht abnimmt, droben im Himmel, wo kein Dieb ihn findet und keine Motte ihn frisst. Denn wo euer Schatz ist, da ist auch euer Herz.« (Lk 12,33f) Der wahre Schatz des Menschen
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