Die Heilsame Kraft Der Inneren Bilder
finden, die Urbilder aufnimmt. Nur dann erreicht das Wort die Tiefen der Seele in den Zuhörern. Nur dann kann eine Rede etwas bewirken und die Herzen erreichen. Jesus hat immer in Bildern gesprochen und daher die Menschen wirklich berührt, aufgewühlt und aufgerichtet.
Jung spricht nicht nur von archetypischen, sondern auch von ewigen Bildern: »Nur die lebendige Gegenwart der ewigen Bilder vermag der Seele jene Würde zu verleihen, die es dem Menschen wahrscheinlich macht und es ihm moralisch ermöglicht, bei seiner Seele auszuharren und überzeugt zu sein, dass es sich lohnt, bei ihr zu bleiben.« (Jung, Mysterium Coniunctionis GW 5, 119) Die archetypischen oder ewigen Bilder ermöglichen es also dem Menschen, mit sich selbst in Berührung zu sein und es bei sich selbst auszuhalten. Wer vor sich ständig davon läuft, der wird nie ein ganzer Mensch. Die archetypischen Bilderführen den Menschen zu seiner inneren Einheit. Trotz aller Konflikte spürt er sein inneres Einssein.
Archetypische Bilder sind z. B. das Bild des Helden oder Retters, der von einem »Ungeheuer verschlungen wird, aber auf wunderbare Weise wieder erscheint, nachdem er das Ungeheuer, das ihn verschluckt hatte, überwältigt hat«. (Jung, Der Mensch und seine Symbole 73) Dieses archetypische Bild wird in jedem Volk und jeder Religion auf andere Weise erzählt. Im christlichen Glauben ist Jesus der Erlöser, der von der Unterwelt verschlungen wird, der sie aber überwindet und aufersteht, um uns an seiner Auferstehung Anteil zu schenken. Weil das archetypische Muster im Menschen bereit liegt, kann es durch die biblischen Erzählungen von Tod und Auferstehung Jesu angesprochen werden. Und das ist für Jung auch der Grund, warum Christus eine so starke Wirkung auf die Menschen ausübt. Er spricht ihre tiefste Sehnsucht nach Erlösung an, die in den archetypischen Bildern seiner Seele eingeprägt ist.
C. G. Jung unterscheidet dabei die archetypischen Bilder, die wir anschauen und die uns zentrieren auf unser Selbst hin, und die archetypischen Bilder, mit denen wir uns identifizieren. Die Meditation archetypischer Bilder tut uns gut. Sie ist wesentlich für unseren Reifungsprozess. Wenn wir uns jedoch mit archetypischen Bildern identifizieren, ist das für uns gefährlich. Denn die Identifikation macht uns blind gegenüber unseren wahren Bedürfnissen. Wenn wir uns z. B. mit dem archetypischen Bild des Helfers identifizieren, merken wir gar nicht, dass wir in derBegleitung unser eigenes Bedürfnis nach Nähe ausagieren, indem wir dem andern helfen wollen. Oder wenn eine Frau sich mit dem Archetyp der Heilerin identifiziert, wird sie sicher auf viele Menschen Eindruck machen. Sie glauben, dass von ihr eine heilende Wirkung ausgeht. Doch für sie selber kann es zerstörerisch werden. In Wirklichkeit heilt sie den andern nicht, sondern bedrängt ihn mit ihren eigenen unbewussten Bedürfnissen, die sie bei ihm auslebt. Es ist gut, sich von archetypischen Bildern bewegen zu lassen. Aber die Identifikation mit archetypischen Bildern tut uns nicht gut. Wer das Bild des Propheten in sich zulässt, der hat eine wichtige Funktion für die Gesellschaft. Er weist sie hin auf falsche Wege und Strukturen. Wer sich jedoch mit dem Bild des Propheten identifiziert, der merkt gar nicht, welchen unbewussten Machtanspruch er damit ausagiert. Ich erlebe das manchmal bei Priestern. Priester ist auch ein archetypisches Bild. Es kann Menschen, die an ihrem Selbstwertgefühl leiden, neue Kraft schenken, dass sie trotzdem im Dienst Gottes stehen und den Menschen die Botschaft Jesu verkünden. Wenn ein Priester sich jedoch mit diesem archetypischen Priesterbild identifiziert, stellt er sich über die andern. Dann agiert er sein mangelndes Selbstwertgefühl dadurch aus, dass er sich über die andern erhebt. Doch das ist kein wirkliches Selbstvertrauen, keine wirkliche Selbstständigkeit, sondern nur eine auf Kosten anderer. Er stellt sich seinen Schattenseiten nicht, sondern überdeckt sie, indem er sich mit dem archetypischen Bild identifiziert.
Die Identifizierung mit archetypischen Bildern ist also nicht so harmlos, wie es auf den ersten Blick scheint. Beimsexuellen Missbrauch, der heute ja ins Blickfeld der Öffentlichkeit gelangt ist, spielt oft die Identifizierung mit dem archetypischen Bild des Helfers oder Heilers eine Rolle: Ich mache mir vor, dass ich dem Jungen, dem Mädchen helfen will, dass ich ihm oder ihr die Nähe zeigen möchte,
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