Die heimliche Braut
Bruder Henry.”
Lord Chesleigh straffte seine Gestalt. “Wer er auch sei – er möge mich und meine Tochter gefälligst vorbeilassen.”
“Ihr verlasst uns, Mylord?”, fragte Henry höflich.
“Jawohl. Unverzüglich!”
“Ausgezeichnet! Da werdet Ihr gewiss mit Freuden vernehmen, dass ich Euch eine Eskorte mitgebracht habe. Hat es doch den Anschein, als seien etliche mächtige Herrschaften in London äußerst erpicht darauf, mit Euch ein Wörtchen zu reden. Und zwar über Eure Spießgesellen und deren Umtriebe. Mich dünkt, man hat Euch bereits ein Plätzchen im Verlies des Towers reserviert.”
Lord Chesleigh erbleichte. Dann fuhr seine Hand zum Schwertgriff.
Zu langsam allerdings. Nicholas hatte Riona bereits losgelassen und seine Waffe gezogen. Blitzschnell zuckte die Schwertspitze zum Hals des Normannen, bevor dieser überhaupt die Klinge aus der Scheide gezogen hatte.
“Ich fürchte, das wäre unklug, Mylord!”, zischte Nicholas warnend, während Riona erleichtert aufatmete.
“Du hast doch gewiss einen Kerker hier irgendwo, oder, Nicholas?”, meinte Henry.
“Freilich!”
“Hervorragend. Die Männer und ihre Pferde sind nämlich zu ermüdet vom Ritt, als dass sie noch heute den Rückmarsch nach London antreten könnten.” Er wies auf zwei von Nicholas’ Soldaten. “Führt seine Lordschaft ab. In den Kerker mit ihm!”
Eiligst gehorchten die Bewaffneten dem Befehl, indem sie Lord Chesleigh packten und ihn mit auf den Rücken gewinkelten Armen aus dem Rittersaal drängten. “Joscelind!”, schrie er verzweifelt. “Joscelind!”
“Sei unbesorgt, Vater”, sagte sie kühl und folgte dem Trüppchen nach. “Ich lasse dich nicht im Stich. Ich werde alles in meiner Macht Stehende tun, um deine Unschuld zu beweisen. Denn sonst stehe
ich
am Ende mit leeren Händen da.”
Sobald sie verschwunden waren, konnte man den Eindruck gewinnen, als atmeten alle im Burgsaal Versammelten gleichzeitig auf.
“Wer war denn die Schöne?”, wollte Henry von seinem Bruder wissen.
“Lord Chesleighs Tochter. Erhebt man auch Anklage gegen sie?”
“Nein, und offen gesagt bin ich froh darüber. Es wäre doch ein Jammer, eine solche Schönheit im Londoner Tower einsperren zu müssen.”
Froh war auch Riona. Gewiss, sie mochte das Mädchen nicht, aber Schande und Armut wünschte sie ihm denn doch nicht an den Hals.
Plötzlich zuckte Henry zusammen. “Percival!”, rief er und wies auf den eitlen Pfau, der beim Eingang zur Küche stand und glotzte, als sei er gerade von einem Pfeil getroffen und an die Wand genagelt worden.
“Was?”, rief dieser, wobei er sich immer näher zur Tür schob. “Was willst du von mir?”
Henry schlenderte auf ihn zu. “Hier also liegt der Hund begraben”, sagte er feixend. “Man hört, dein Schneider sei fuchsteufelswild auf dich – ein hübsches Sümmchen von einigen Hundert Talern, das du ihm schuldest, soweit ich weiß. Und auch dein Juwelier ist nicht eben begeistert. Ja, in der Tat, es scheint, als stündest du bei sämtlichen Händlern und bei der Hälfte der Geldverleiher in London in der Kreide.”
“Du lügst!”
“Gewiss, ich mag mich irren”, gab Henry zurück. “Allerdings würde ich’s niemals zulassen, dass mein Bruder eine Verwandte von dir heiratet, ehe er nicht die Mitgift in Händen hält.”
“Ist das wahr?”, herrschte Eleanor ihren Cousin an. “Was ist denn mit meinem Anteil?”
Wie bei einer in die Enge getriebenen Ratte zuckte Percivals Blick hin und her – zwischen dem viel zu weit entfernten Haupteingang und der nahen Küchentür, die allerdings durch Polly und den Rest des Gesindes versperrt war. Schließlich stürzte er zur Letzteren und stieß die Magd und die anderen grob beiseite. Mehrere Soldaten hefteten sich sofort an seine Fersen.
“Soll ich ihm ebenfalls nach?”, fragte Henry seinen Bruder.
Der schüttelte nur den Kopf. “Er wird nicht weit kommen. Meine Leute sind gut geübt. Die können meilenweit rennen, wenn’s sein muss. Er mit Sicherheit nicht!”
Begütigend legte Riona den Arm um die völlig bestürzte Eleanor, die nunmehr womöglich nichts weiter besaß als ihren Adelstitel. “Vielleicht habt Ihr ein wenig übertrieben bei seinen Schulden?”, fragte sie Henry hoffnungsvoll.
“Ich wollte, es wäre so”, entgegnete der bedauernd. “Doch fürchte ich, dass es leider nur allzu wahr ist.”
“Zerbrich dir nicht den Kopf, mein Mädchen!”, rief da Fergus. “Bei Fredella und mir kannst du dich stets wie
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