Die heimliche Päpstin
bequem gemacht.
»Ich bin mir nicht sicher«, erwiderte ich leise.
»Es müßte ihm ein Leichtes sein, Römer zu bestechen, die uns aus der Engelsburg fliehen lassen. Vielleicht findet er auch willige Hände, die Alberico und seine Kumpane kalt … stellen.«
Um Marozia auf weniger blutige Gedanken zu bringen, suchte ich verstärkt nach friedlichen Wegen des Ausgleichs und der Befreiung. »Du solltest Alberico rufen lassen und ihm erklären, daß du dich ins Kloster zurückziehst – und zuvor solltest du dich für deine womöglich nicht ausreichende Mutterliebe entschuldigen.«
Marozia zog die Augenbrauen hoch. »Er wird mich auslachen – ins Kloster! Und für die Mutterliebe ist es zu spät.«
»Für Mutterliebe ist es nie zu spät.« Mir traten Tränen in die Augen, die ich zu verbergen suchte.
»Außerdem bin ich verheiratet, und mein Gemahl lebt! Ich kann nicht einfach in ein Kloster gehen. Und glaubst du etwa, Hugo würde Rom und den Kaisertitel aufgeben, weil sein sich überschätzender Stiefsohn die römischen Adelsfreunde gegen ihn aufwiegelte? Er wird auf Rache sinnen und sie zerquetschen wie Läuse auf der Kopfhaut eines Bettlers.«
Sie kratzte sich unwillkürlich am Kopf, und ihre Lider zuckten. »Wenn ich wirklich diesen Kerker lebend verlassen sollte, werde ich das alte Spiel weitertreiben müssen.«
Eine Weile dachte sie nach, dann fuhr sie fort: »Meine Zeit ist abgelaufen, so oder so – deswegen solltest wenigstens du deine Freiheit suchen. Ich habe es dir bereits gesagt: Hier unten kannst du mir nicht mehr helfen.«
Ich schüttelte den Kopf.
»Denk an Alexandros! Die kaiserliche Delegation aus Konstantinopel müßte mittlerweile eingetroffen sein: Du könntest unsere unschuldige Berta zum byzantinischen Hof begleiten, ihr die Mutter ersetzen – in deiner Heimat, Aglaia! Ich weiß, an wen deine Gedanken sich heften. Ob Alexandros die Gesandtschaft begleitet, weiß ich nicht, aber in Konstantinopel wirst du ihn sicher finden können. Und wenn du Bertas Kinder wiegst, wirst du an mich denken, an deine kleine Tochter …«
5
Marozias Worte hören nicht auf, in mir nachzuklingen. Sie führen mich heim an die Gestade des Bosporus und des Marmarameers. Ich tauche in den Fluß des Erinnerns, in dem der teure Schimmer der versunkenen Dinge vorbeitreibt. Nicht nur, um mir die Stunden zu verkürzen, will ich die Seiten füllen. Es gibt ein wichtigeres Ziel: Damit mein Sohn dereinst, wenn er seine Mutter nicht mehr lebend antreffen sollte, wenigstens von ihr lesen kann, sollen die letzten Spuren meines flüchtigen Lebens zu schwarzen Schatten auf dem Pergament zusammenfließen.
Am Anfang unseres Lebens, so lehrt uns die Heilige Schrift, lebten die ersten Menschen im Paradies. Dies gilt für jeden von uns, noch immer: Das Paradies leuchtet uns aus unserer Kindheit entgegen, liegt in der Erinnerung an eine Zeit, in der jeder Tag ein Abenteuer war, voller Licht und Wunder.
Am Anfang meines Lebens war alles gut, und ich war glücklich. Die Sonne Konstantinopels erhob sich im Strahlenkranz, die Kuppeln der Hagia Sophia ragten, golden überstrahlt, in den blaßblauen Himmel, und in der Ferne winkte der Kaiserpalast mit seinen Wundern und Weihen. Der Duft der Goldorangen und Limonen durchzog die Luft unseres Gartens, die Zitronen blühten und die Myrten flossen über vor weißem Flor. Die sanfte Stimme meiner Mutter lockte, ermunterte und tröstete mich, das lichte Lächeln ihrer Augen wird mich ewig begleiten, selbst wenn ich nie mehr den Abenddämmer über dem Marmarameer, die Gerüche meiner Heimat, die helle Stimme meines Sohnes erleben werde. Je schwächer die Kerzen ihre unruhigen Lichter durch unser Verlies schicken, desto stärker flimmert das Spiegelbild des Mondes auf dem Bosporus – doch bald schon erhebt sich die Sonne wieder aus der Vereinigung von Himmel und Meer.
Geweckt werde ich durch den Gesang der Vögel, die mich vorsichtig aus meinen Träumen holen und mich in Freude und Neugier die Augen aufschlagen lassen. Jeder Morgen ist wie die Erschaffung der Welt, und der Tag eine nicht endende Entdeckungsreise. Vor unserer Loggia, in die ich singend trete, wiegen sich die Palmzweige und reichen mir die süßen Datteln. Neben den Säulen wächst der Lorbeer empor und umrahmt einen Feigenbaum, dessen Früchte kaum weniger süß sind. Gegenüber beugt sich ein Granatapfel mit seinem blutroten Fleisch.
Mein Vater nimmt mich auf den Arm und gibt mir einen Kuß, er reicht mich meiner
Weitere Kostenlose Bücher