Die heimliche Päpstin
ihre Wut steigerte sich, als einige von ihnen fielen.
Ich sah ihre Augen begehrlich auf meine Mutter und mich gerichtet, auf die Truhen mit den Keramik- und Silbertellern, den Goldschmiedearbeiten und Duftwässern und den verschnürten Ballen mit ihren kostbaren Stoffen. Dem ersten, der sich mir näherte, schlug mein Vater die Hand ab, das Schwert klirrte zu Boden, mir vor die Füße, und ich bückte mich blitzschnell, um es zu ergreifen.
Zum ersten Mal in meinem behüteten Leben hatte ich die Städte und Gewässer meiner byzantinischen Heimat verlassen – und schon begegnete uns die Geißel der Meere. Unserem Schiff erging es so wie dem Schiff meines Lehrers. Hätte ich kämpfen – oder mich entleiben sollen, um dem zu erwartenden Schmerz, der untilgbaren Schande zu entgehen? Ich konnte mich nicht entscheiden und unterließ beides – zu Recht! Lag mein Schicksal nicht in der Hand eines Gottes, dessen Ratschlüsse unerforschlich sind? Hatte nicht mein griechischer Lehrer den Philosophen zitiert, daß niemand vor seinem Tode glücklich – aber auch nicht unglücklich – zu schätzen sei? Hatte nicht Epiktet geschrieben, daß unsere Gegner nur unserem Körper schaden können, nicht der unsterblichen Seele, vorausgesetzt, sie folgt den labyrinthischen Wegen des Schicksals, ohne sich aufzulehnen?
Der dunkelhäutige Sarazene starrte einen Moment auf seinen Armstumpf, bevor er bewußtlos niedersank. Mein Vater starrte nicht minder entsetzt auf das, was er angerichtet hatte – da traf ein Schwert die Fibel, die seinen Umhang auf der Schulter zusammenhielt, zum Glück, denn sie rettete ihn vor einem sofortigen Tod. Er torkelte zur Reling, wich dort so unglücklich – oder glücklich – einem weiteren Stoß aus, daß er rückwärts über Bord kippte.
Als mehrere blutverschmierte Hände nach mir griffen, wehrte ich mich kaum. Unter gierigem Brüllen wurde meine geliebte Mutter zu Boden gedrückt, die Hände über dem Kopf gefesselt. Als sie einige Worte auf Arabisch herauspreßte, warfen sich ihre Peiniger einen erstaunten Blick zu, um dann in Gelächter auszubrechen. Die letzten Verteidiger des Schiffs wurden überwältigt und hektisch unter erneutem Anrufen des angeblich so unbesiegbaren arabischen Gottes am Segelmast aufgeknüpft, Todesschreie gellten herüber. Einige unserer Ruderer versuchten sich mit einem beherzten Sprung ins Wasser zu retten. Die Sarazenen schickten ihnen Pfeile nach.
Ich wurde an einen Stoffballen gedrückt, in dem sich Seide aus Byzanz für den Heiligen Vater befand, und spürte die Hände, die an meiner Kleidung zerrten. Was ich noch heute in unvergeßlicher Deutlichkeit sehe, ist ein starres, totes Auge und ein behaarter Handrücken mit einer breiten Narbe.
Wir schrieben das Jahr des Herrn 887, ich war damals achtzehn Jahre alt – ich kannte die Verse Homers und die Dramen des Sophokles, ich sang wie Sappho, beherrschte das Trivium und das Quadrivium, war neugierig auf die Welt, von der ich, bevor ich mich einem Ehemann hingab, etwas sehen sollte und wollte – Seide riß, die perlenbestickte Seide meines eigenen Gewands, nicht weit entfernt meine Mutter …
Ich schloß die Augen, weil ich vom bloßen Anblick zu sterben glaubte.
Doch man stirbt nicht vom Schauen, man stirbt auch nicht vor Scham, nicht einmal vom Ertragen der Schande. Mein Körper, entblößt, rutschte über die glitschigen Planken. Triumphierendes Johlen ging in fletschendes Knurren über – es war, als wollte man mir meine Glieder nach allen Seiten auseinanderreißen … Ich spürte einen Schmerz, der wie die Spitze eines Dolchs in mich eindrang und sich dann wie ein aufloderndes Feuer ausbreitete … Alle Geräusche rückten in eine aufsaugende Ferne, der Schmerz zog sich zusammen, erbrach sich pulsierend, schien an sich selbst zu ersticken – und ich verlor das Bewußtsein.
Noch heute bedrängen mich die Erinnerungen an diese dunkelste Stunde meines Lebens und, überlagert von anderen dunklen Stunden, verwischt und aufgehellt von Glücksmomenten, verschwimmen sie wie hinter einem purpurroten Vorhang, der teils einem schweren Brokatstoff, teils durchsichtiger Seide gleicht – sogar heute und hier in der Gruft der Engelsburg, katakombentief, rattenverseucht, seufzerschwer, drängen sie mich, niedergeschrieben und festgehalten zu werden, um so ihre Schrecken zu verlieren. Sie sind der Schatten, der sich über das Licht der Kindheit gelegt hat. Sie zeigen das Unglück, durch das ich das Glück zu
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