Die heimliche Päpstin
Brüder, wirst also vermutlich das Vermögen deines Vaters erben. Aber Reichtum macht noch nicht glücklich – und schnell kann er verloren gehen.«
»Wie hast du sie denn erlangt, die ataraxia?« fragte ich. »Du bist nicht reich, bist nicht einmal ein freier Mann, sonst müßtest du dich nicht verdingen.«
»Ich bin so frei, wie ich mich fühle«, antwortete er mir und schaute mich lange an. »Einst lebte ich in Athen und steckte all mein Geld, das ich von meinen Vorfahren geerbt hatte, in ein Handelsunternehmen, in ein einziges Schiff, das seine Ware nach Venedig bringen sollte, Seide und Glas, Schmuck, Gewürze und Sklaven. Die Ladung versprach einen sagenhaften Gewinn.«
Ich werde nie vergessen, was mit dem Schiff, der Ladung und dem Gewinn geschah, mit dem Kapitän, den Ruderern, Schiffsjungen und Sklaven. Sie fielen einem sarazenischen Seeräuberboot in die Hände. Euthymides hatte alles verloren. Er beendete seine Erzählung durch einen Satz, der sich mir tief einprägte. Er sagte nur: »Und dann war ich frei.«
»Frei?« antwortete ich skeptisch.
Lächelnd fügte er an: »Weißt du, welchen Rat Epikur seinen Schülern gab, wenn sie mit ihm im schattigen Garten lustwandelten und den Weg zur Weisheit suchten? Λαθε βιωσας , lathe biosas , lebe im Verborgenen, meide den Jahrmarkt, das Schlachtfeld und die Tauschbörse des Lebens, meide die Paläste und Hinterzimmer der Macht. Der Garten ist der Ort des Glücks, und gute Freunde sind seine Gärtner.«
6
Als ich zu einer jungen Frau herangewachsen war, erhielt mein Vater den Auftrag des Kaisers, eine Gesandtschaftsreise nach Rom zu unternehmen. Er belud eines seiner Schiffe mit den schönsten Waren und außerdem mit wertvollen Geschenken des Kaisers. Er befand, ich sei nun alt genug, mehr von der Welt zu sehen als unsere Villa und die Straßen von Konstantinopel. Meine Mutter wollte uns nicht alleine reisen lassen.
Beim Abschied von Euthymides flossen die Tränen. Er allerdings blieb gelassen und drückte mich an sein Herz. »Was immer auch geschieht«, flüsterte er mir zu, »vergiß meine Lehren nicht. Ich werde bei dir sein.«
Bald segelten wir, begleitet und geschützt von einer Dromone, durch das gleißende Licht der Ägäis. Abends ankerten wir in einem belebten Hafen der Kykladen. Als hätten sie mich gestern umfangen, erinnere ich mich noch an die Nächte im sanften Schaukeln der Wellen, die Weltenschöpfung am Morgen und schließlich an den Gesang der Ruderer vor dem letzten ungetrübten Sonnenuntergang.
Bevor wir die Meerenge von Messina durchsegelten, traf uns ein heftiger Sturm, der den Mast der Dromone brach. Mein Vater wollte nach Abflauen des Unwetters nicht auf unseren Begleitschutz warten und auch dessen Ruderern nicht zumuten, den restlichen Weg nach Rom in den Riemen zu liegen, und so ließen wir das Schiff den nächsten byzantinischen Hafen ansteuern und segelten allein weiter.
Wir durchpflügten das tyrrhenische Meer, als sich ein unbekanntes Segel über den Horizont schob. Mein Vater wurde bleich und ließ die Ruder aufnehmen. Dennoch kam das fremde, schlanke Schiff näher. Wie wir bald erkannten, trug es keine Waren und Geschenke, nur Männer in Waffen, und diese näherten sich uns offenkundig nicht in friedlicher Absicht. Schwerter blitzten in der Sonne, erste Pfeile zischten in das Wasser oder blieben mit einem dumpfen Laut im Rumpf des Schiffes stecken. Wir, die wir bisher unbehelligt durch die Frische klarer Sonnentage gesegelt waren und den Sturm überstanden hatten, mußten der Heimsuchung der Meere begegnen – und obwohl die Ruderer vor gehetzter Anstrengung keuchten, gelang uns nicht die Flucht. Der Blick meines Vaters verdüsterte sich, und als er mich und unsere Mutter in den Arm nahm, um uns die Angst zu nehmen, lächelte er in panischem Leid.
Die sarazenischen Seeräuber hatten unser Schiff bald eingeholt und begannen es unter dem heiserem Geschrei von Allahu akbar zu entern. Sofort entstand ein Gewimmel aus blitzenden Klingen und drohenden Fäusten. Mit ihren barbarischen Lauten sprangen immer mehr Angreifer an Deck. Unsere kleine Soldatenschar, die dem Schutz der Menschen und Waren dienen sollte, kämpfte, angeführt von meinem Vater, mit dem Mut der Verzweiflung, mit der Tapferkeit der Treue, doch hatte sie keine Chance. Manche Männer wurden kurzerhand über Bord gestoßen, andere sanken nieder, durchbohrt von spitzen Klingen, im erwürgten Schmerzensgebrüll. Die Sarazenen schrien sich Mut zu, und
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