Die Herren der Unterwelt 03 - Schwarze Lust
machtlos gegen diese Fesseln. Anfangs hatte sich Reyes noch dagegen gesträubt, sie seinem Freund anzulegen und dessen Freiheit damit noch mehr zu beschneiden, doch leider hatten sich die Ketten dann – genau wie bei Maddox – als unumgänglich erwiesen.
„Wo ist Aeron, Reyes?“ In der Frage schwang ein unterschwelliger Befehl mit, vorgebracht mit der Autorität eines Mannes, der es gewohnt war, dass man ihm gehorchte.
Doch das schüchterte Reyes nicht ein. Eher machte es ihm zu schaffen, dass er Lucien, den er wie seinen Bruder liebte, gerade enttäuschte. „Das werde ich dir nicht sagen. Aeron möchte nicht befreit werden.“ Und selbst wenn er es wollte, würde ich ihm den Gefallen nicht tun.
Das war der Knackpunkt von Reyes’ Schuld.
Wieder machte sich Schweigen breit, diesmal war es angespannt und beladen mit Erwartungen. „Ich finde ihn notfalls auch allein, das weißt du genau.“
„Du hast es doch bereits vergeblich versucht, sonst wärst du nicht hier.“ Reyes wusste, dass Lucien sich in die weite Welt der Gedanken und Gefühle einschleusen und dort die Spuren einer anderen Psyche nachverfolgen konnte. Manchmal verwischten, verblassten oder verwandelten sich die Spuren jedoch.
Reyes vermutete, dass Aerons Spur sich verwandelt hatte, denn er war einfach nicht mehr derselbe Krieger wie früher.
„Du hast recht. Seine Spur endet in New York“, gab Lucien mit düsterer Miene zu. „Ich könnte meine Suche fortsetzen, aber das würde dauern. Und Zeitverschwendung kann sich momentan keiner von uns leisten. Zwei Wochen sind ohnehin schon verstrichen.“
Das wusste auch Reyes nur zu gut, denn er hatte jeden einzelnen dieser vierzehn entsetzlich sorgenvollen Tage wie eine Schlinge empfunden, die sich immer enger um seinen Hals zog. Ihre größten Feinde, die Jäger, suchten wahrscheinlich jetzt gerade, in diesem Augenblick, nach Pandoras Büchse, um mit ihrer Hilfe die Dämonen aus den Kriegern herauszulocken. Für Letztere wäre das unweigerlich das Todesurteil, die Jäger hingegen müssten nur noch die Dämonen in die Büchse sperren und den Deckel verschließen.
Wenn die Krieger überleben wollten, mussten sie also den Jägern zuvorkommen und die Büchse zuerst finden.
Diese Notwendigkeit sah auch Reyes, denn selbst wenn er sein Leben chaotisch und schmerzhaft fand, so wollte er es doch nicht vorzeitig und dauerhaft beenden.
„Sag mir, wo Aeron ist“, drängte Lucien, „dann bringe ich ihn auf die Burg zurück und sperre ihn hier in den Kerker.“
Reyes schnaubte. „Er ist schon einmal ausgebrochen. Wer sagt, dass er es nicht wieder tut? Vermutlich würden ihn nicht einmal Maddox’ Ketten daran hindern. Sein Blutrausch verleiht ihm Kräfte, die ich so noch nie erlebt habe. Besser, er bleibt, wo er ist.“
„Aber er ist dein Freund. Er ist einer von uns.“
„Er ist nicht mehr er selbst, er ist nur noch ein Zerrbild des alten Aeron, und das weißt du. Die meiste Zeit ist er sich über sein Tun gar nicht bewusst. Er würde sogar dich töten, wenn sich die Gelegenheit böte.“
„Reyes …“
„Er wird sie umbringen, Lucien.“
Sie. Danika Ford. Das Mädchen. Reyes hatte sie nur ein paarmal gesehen, hatte sich kaum mehr als einmal mit ihr unterhalten, und doch sehnte er sich mit jeder Faser seines Körpers nach ihr. Das war etwas, was er nicht verstand. Er war dunkel, sie war hell. Er war der personifizierte Schmerz, sie die Unschuld schlechthin. Er war in jeder Hinsicht schlecht für sie, und trotzdem: Wenn sie ihn ansah, fühlte sich sein Leben durch und durch gut an.
Reyes hatte nicht den geringsten Zweifel daran, dass Aeron sie, wenn er sie noch einmal in die Finger bekäme, bestialisch abschlachten würde. Unmöglich, ihn dann noch zu stoppen. Nicht ein zweites Mal. Aeron hatte den Auftrag erhalten, Danika umzubringen – ebenso wie ihre Mutter, ihre Schwester und ihre Großmutter. Und da er den Befehlen der Götter ebenso hilflos ausgeliefert war wie jeder von ihnen, würde er es tun.
Erneut flackerte Zorn in Reyes auf, und er musste seinen Blick auf die Felsen unter sich richten, um sich zu beruhigen. Zunächst hatte Aeron sich dem finsteren Auftrag der Götter noch widersetzt. Er war ein guter Mensch … nein, er war ein guter Mensch gewesen. Aber mit jedem Tag, der verstrich, war sein Dämon mächtiger geworden, hatte lauter in seinem Kopf gewütet, bis er seinen Geist schließlich ganz beherrschte. Jetzt bildeten Aeron und der Dämon in seinem Körper eine Einheit.
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