Die Herrin der Flammen
Magen verkrampfte sich, als er den Schmerz in Illyras verschlossenem Gesicht erkannte. Behutsam und ganz leise, aus Angst, sie zu wecken, räumte Lalo seine Farben auf.
»Die Karten sind schön«, sagte Gilla. »So viele von Lalos Aufträgen in letzter Zeit waren Wandgemälde. Ich hatte ganz vergessen, wie bezaubernd seine feineren Arbeiten sein können.« Sie legte die Wald-Eins ordentlich auf den Stoß zurück. Die kräftigen Grün- und Brauntöne des Urwalds schienen in ihrem eigenen Licht zu glühen wie Sonnenschein, der schräg durch unzählige Blätter filtert. Molin Fackelhalter hatte darauf bestanden, daß er sich mit dem Hochzeitswandgemälde beeilte, darum hatte es nun Vorrang über Kamas Auftrag, obwohl das Päckchen schon beinahe fertig war. Illyra war auch körperlich fast genesen. Aber sie und Gilla hatten sich daran gewöhnt, einander Gesellschaft zu leisten.
»Ich hasse sie«, murmelte Illyra.
Gilla blickte zum Bett, und eine wütende Verteidigung von Lalos Arbeit bebte auf ihrer Zunge. Die Augen der S’danzo waren geschlossen, aber Tränen quollen zwischen den Lidern hervor. Gilla schluckte ihren Ärger und ging zu ihr. Sie nahm ein feuchtes Tuch, damit tupfte sie ihre Wangen ab.
»Mein Liebes, es ist ja alles gut…« Das war das instinktive Murmeln einer Mutter zu ihrem kranken Kind.
»Es ist nicht gut!« widersprach Illyra hart. »Um zu lesen, muß ich mich dem Großen Muster öffnen, muß eins damit werden und den Teil heraussuchen, der mit der Frage des Kunden zu tun hat. Aber ich glaube nicht mehr an das Große Muster.«
Gilla nickte. Männer, die einander umbrachten, war eines, ob nun in der Schlacht oder in den Gassen von Freistatt; aber wie konnte es einen Zweck in dem sinnlosen Tod eines Kindes geben? Der Gedanke brachte die plötzliche Erinnerung an Ganners achten Geburtstag, zu dem Lalo ihm Tonerde und Modellierwerkzeug geschenkt hatte. Ganner war der einzige unter den Kindern gewesen, der ein wenig von Lalos Begabung geerbt hatte. Doch nun würde er nie mehr Schönheit in die Welt bringen können. Sie schluckte schmerzlich und wandte sich wieder Illyra zu.
»Gut das halbe Päckchen ist bemalt. Kama wird mich zwingen, für sie zu lesen, sobald die übrigen Karten fertig sind, und ich kann es nicht«, sagte Illyra bitter. »Ich werde sie enttäuschen, und dann wird sie dafür Rache an Dubro nehmen. Bei allen nutzlosen Göttern Freistatts, ich hasse sie! Sie und die anderen klingenhungrigen, herumstolzierenden Kampfhähne, die meine Welt vernichtet haben!«
»Willst du selbst ein Schwert in die Hand nehmen und dich mit ihr anlegen?« fragte Gilla, die versuchte, den Haß, der ihr den Magen verkrampfte, in Spott umzuwandeln. »Illyra, sei vernünftig! Versuch, gesund zu werden und sei dankbar, daß das nicht deine Art von Macht ist!«
»Meine Art von Macht…« sagte die S’danzo nachdenklich. »Nein – wenn Menschen meinesgleichen wegen Zauberei auf dem Scheiterhaufen verbrennen, dann gewiß nicht, weil sie die einfache Macht des Stahles fürchten…« Illyra verstummte. Ihr dunkles Haar schwang auf die Brust hinunter, und Gilla konnte ihre Augen nicht sehen. Doch etwas an der Stille der anderen jagte ihr trotz des heißen Tages einen Schauder über den Rücken.
»Es ist verboten…«, sagte die S’danzo leise. »Selbst in der knappen Ausbildung, die sie mir gegönnt haben, wurde darauf hingewiesen. Aber was scheren mich jetzt die Bestimmungen anderer?«
»Illyra, was hast du vor?« fragte Gilla besorgt, als sich die andere stöhnend aus dem Bett stemmte und zu dem Tischchen ging, wo die Karten lagen, die Lalo fertig hatte.
»Alles hat zwei Seiten«, sagte Illyra im Plauderton. »Sieh dir zum Beispiel diese Karte an. Es ist die Flammen-Drei. Wenn sie beim Lesen aufgedeckt wird, kann sie bedeuten, daß sich die Dinge verschlechtern, aber umgekehrt auch, daß sie besser werden; es kommt ganz auf die umliegenden Karten an. Und diese da, die Stahlkarte…« Sie hielt die Erz-Zwei hoch. »In ihrer normalen Lage, wenn die Schwerter auf die Person deuten, für die ich lese, ist es die Todeskarte, andersherum aber bedeutet sie die Vernichtung seines Feindes.«
»Das ist bei einem Schwert selbst auch der Fall«, warf Gilla ein.
Illyra nickte. »Bei Magie ebenfalls. Macht ist Macht. Gut oder Böse liegt nie im Werkzeug selbst, sondern immer in der Absicht und dem Willen dessen, der es benutzt.«
Gilla starrte sie an. »Du kannst die Karten als Waffe benutzen?« Ihr Herz hämmerte,
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