Die Herrin der Kelten
prompt den Kopf an der Decke an. Als sie das erste Mal hindurchgegangen waren, war ihr der Gang nicht so niedrig erschienen.
»Großmutter...?«
»Lauf! Geh ganz durch den Tunnel hindurch bis zu dem Stein am Eingang. Und dreh dich nicht um. Sei stark! Ich werde dich nicht verlassen.«
Breaca lief. Die Dunkelheit umzingelte sie. Noch bevor sie das Tageslicht erreicht hatte, war das schwache und mühsame Atmen der Großmutter zu einem Nichts verhallt.
Während sie in Richtung Siedlung rannte, veränderte sich der Himmel. Dicke, regenschwere Wolken wälzten sich von Osten her heran. Die Sonne strahlte durch vereinzelte Risse in den Wolken wie durch einen Filter und ließ dort, wo vorher blendende Helligkeit gewesen war, plötzlich Schatten entstehen. Breaca überquerte den Fluss bei den Trittsteinen und hielt noch nicht einmal inne, um Nemain oder dem Wasser oder den Steinen ihren Dank dafür auszusprechen, dass sie sie trocken hielten. Der Pfad, der an den Bäumen entlang abwärts führte, war übersät mit Steinen und verschlungenen Wurzeln und Stolpergruben, die Breaca bei ihrem Aufstieg gar nicht aufgefallen waren. Sie stürmte in großen Sätzen darüber hinweg, ähnlich wie ein Reh, das von Jägern gehetzt wurde, und auch das wurde ihr erst später bewusst. Das Blut pulsierte in ihrer Brust und in ihrem Kopf und trübte ihren Blick, bis alles, was sie noch erkennen konnte, lediglich der Schlangenspeer und der Hase waren; der eine bewegte sich wellenförmig vor ihr durch die Luft, der andere lief neben ihr her. Breaca rannte unentwegt weiter, ohne eine einzige Pause einzulegen, um zu trinken oder um sich zu orientieren. Sie kannte den Weg mittlerweile gut und verließ ihn erst ganz zum Schluss, als ihr einfiel, dass das Osttor heute für sie verschlossen war und sie die Siedlung von der Westseite her betreten musste, durch das Frauentor, das nur bei dieser und noch bei einer einzigen anderen Gelegenheit benutzt wurde. Sie bog scharf nach Westen ab und sprintete an den Koppeln vorbei. Das graue Stutenfohlen erblickte sie und kam im Galopp auf sie zu, um dann, als Breaca einfach an ihm vorbeirannte, abrupt abzubremsen, auf der Hinterhand herumzuschwenken und schnaubend wieder davonzugaloppieren.
Bevor Breaca ankam, wurden die Tore geschlossen, aber das war schließlich immer so, wenn eine Mädchen-Frau von ihren langen Nächten in der Einsamkeit zurückkehrte. Drinnen wartete bereits jemand auf sie, um die traditionellen Fragen zu stellen. Sie hatten sie darauf vorbereitet, viele Male, dass die zurückkehrende Frau so etwas wie ein neu geborenes Kind war und dass ihr erster Wiedereintritt in die Welt ihres Volkes sehr behutsam vonstatten gehen musste, dass die Traditionen genau befolgt werden mussten, weil sie andernfalls Gefahr lief, alles das, was sie für sich gefunden hatte, wieder zu verlieren. Breaca hatte ihnen geglaubt und so lange geübt, bis sie die vorgeschriebenen Formeln im Schlaf sprechen konnte. Aber in diesem Moment schlief sie nicht, und die Worte wollten ihr einfach nicht einfallen. Sie konnte an nichts anderes denken als daran, dass sie wieder zu Atem kommen musste und sie ihr Versprechen zu erfüllen hatte und Macha finden musste, bevor sie wieder zur Großmutter zurückkehren konnte. Die Tore waren aus glatt gehobelter Ulme gefertigt und mit den eingeschnitzten Symbolen Nemains geschmückt. Breaca warf sich keuchend gegen das Tor und hämmerte mit beiden Fäusten dagegen. Doch die Torflügel waren aus dickem, massivem Holz, dafür geschaffen, Feuer standzuhalten und einen Massenangriff von Speeren abzuwehren, sie klapperten deshalb nur leicht unter Breacas Fausthieben.
»Wer kommt dort aus dem Königreich der Nacht?« Breaca kannte diese Stimme und konnte sie auch vage zuordnen, der Name jedoch fiel ihr nicht ein.
»Breaca. Ich bin es, Breaca. Ich muss Macha finden! Hol sie her, schnell...«
Daraufhin öffnete sich das Tor abrupt, so dass Breaca regelrecht hineinfiel. Airmid fing sie auf, bevor sie zu Boden stürzen konnte. »Breaca! Was ist passiert?«
Breaca konnte kaum noch atmen. Ihre Lungen brannten wie Feuer. Ihr Speichel schmeckte nach Blut. Sie hätte sich niemals vorstellen können, dass das Sprechen solche Anstrengung kosten könnte. Sie brach in den Armen, die sie hielten, zusammen. »Die Großmutter... Du musst schnell kommen! Sie blutet! Und Macha. Ich habe geschworen, dass ich Macha finden werde...«
Macha hatte noch niemals zuvor so streng, fast drohend gewirkt. Sie
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