Die Herrin der Rosen - Historischer Roman
Gelegenheit, alle abzulenken, indem ich vortäuschte, ohnmächtig zu werden. Sœur Madeleine und der Burgwächter eilten mir zu Hilfe.
»Tief atmen, meine Liebe!«, sagte Sœur Madeleine, und ich befolgte ihren Rat.
»Gut, dass Ihr hier seid«, meinte der Wächter. »Die junge Dame braucht Ruhe, und das Unwetter wird schlimmer.«
Als hätte der Himmel beschlossen, uns zu helfen, nahmen sogleich das Donnergrollen und der Regen zu. Dennoch wollte Sœur Madeleine nicht vom Thema lassen.
»Ist Euer Lord Cromwell derselbe, der König Henry und unserer edlen Königin Marguerite d’Anjou als Kanzler diente?«, fragte sie, wenn auch etwas weniger streng als zuvor. Ich hielt den Atem an.
»Derselbe. Und wohin führt Euch die Reise?«, erkundigte der Wächter sich freundlich. Unterdes übergab er die Pferde zwei jungen durchnässten Stallburschen.
»Zum Hof, Sir«, sagte Sœur Madeleine hochnäsig. »Ich bin Sœur Madeleine vom Benediktinerorden der Abtei Notre-Dame de Wisques, und mein Schützling ist Lady Isobel Ingoldesthorpe, Mündel von Königin Marguerite d’Anjou. Ihr Vater war der treue Lancastrianer-Ritter Sir Edmund Ingoldesthorpe von Newmarket, Cambridgeshire, und ihre Mutter die getreue Lancastrianer-Lady Joan Tiptoft aus Cambridgeshire. Beide sind verstorben, möge Gott ihren Seelen gnädig sein.« Sie bekreuzigte sich, schürzte die Lippen und reckte stolz das Kinn.
Ich lächelte dem Wächter zu, um die frostige Antwort Sœur Madeleines zu mildern, und senkte den Blick, auf dass mir niemand sonst ansah, was in meinem Kopf vorging. Anders als die Nonne eben gesagt hatte, war mein Vater kein waschechter Lancastrianer gewesen. Um nicht für Lancaster kämpfen zu müssen, hatte er zahlreiche königliche Rufe missachtet, sein Handeln erklärt und teure Straferlasse bezahlt. »Ein korrupter Haufen« war seine Bezeichnung für die französische Königin und ihre Günstlinge gewesen, die das Land während der häufigen Erkrankungen König Henrys regierten. Solche Reden kamen jedoch einem Hochverrat gleich, weshalb er achtgab, seine Yorkisten-Sympathien für sich zu behalten. Ich schob die Erinnerung beiseite, zog die Kapuze ab und schüttelte mein Haar. Dabei bemerkte ich, dass der Wächter mich ansah und sein Blick auf meinem Gesicht verharrte. Was Sœur Madeleine ebenfalls nicht entging.
»Ihr seid dreist, Sir«, schalt sie ihn. »Hoffentlich hat Euer Lord bessere Manieren als Ihr.« Der Mann errötete. »Durchaus, Schwester, seid es versichert. Er ist ein wahrhafter Ritter und geübt im Umgang mit feinen Damen. Bitte, folgt mir!«
Lord Cromwell, ein liebenswürdiger Mann, dessen Haar die Farbe von Raureif hatte, kam uns begrüßen, sobald wir in der großen Halle angekündigt wurden. Dort befand er sich gerade im Gespräch mit dem Kämmerer. Diener eilten geschäftig umher und bereiteten ein großes Festmahl vor. Manche deckten die langen Tische mit weißem Leinen, arrangierten Obstschalen und Salzteller, Zinnschüsseln, Stahlmesser, Silberlöffel und Tassen. Andere stellten eiserne Leuchter auf, ersetzten heruntergebrannte Kerzen und steckten Fackeln in die Wandhalterungen. Wieder andere fegten Schmutz, Knochenreste, Hundeexkremente und welke Binsen fort. Holzfässer mit duftenden Rosenblättern, Ysop und süßem Fenchel waren aus dem Keller herbeigerollt worden und warteten darauf, dass ihr Inhalt auf dem sauberen Boden verteilt wurde. Lord Cromwell scheute offenbar keine Kosten.
»Ehrwürdige Schwester, meine teure junge Dame, ich heiße Euch beide herzlich willkommen!«, sagte er strahlend, küsste mir die Hand und verneigte sich vor Sœur Madeleine. »Euer Besuch kommt zu einem günstigen Zeitpunkt. Nicht bloß wegen des unbarmherzigen Wetters, oh nein! Wie es der Zufall will, findet heute Abend ein Bankett statt – ein sehr besonderes Bankett, wie ich behaupten darf. Meine Nichte, Lady Maude Neville, wird in Kürze mit ihrem Gemahl und einer Entourage junger Freunde eintreffen, die verzückt sein werden, Eure Bekanntschaft zu machen, teure Lady Isobel. Zweifellos werdet Ihr mit ihnen eine Menge zu bereden haben – Ihr wisst schon, über jene Angelegenheiten, die hübsche junge Damen am meisten beschäftigen: junge Herren .« Er zwinkerte mir zu, woraufhin ich lächelte und Sœur Madeleine die Stirn runzelte. »Es gibt Musik, Tanz, einen Troubadour, der uns unterhält, und Feuerschlucker. Also solltet Ihr Euch ausruhen und erfrischen, auf dass Ihr das abendliche Vergnügen gebührend genießen
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