Die Herrin der Rosen - Historischer Roman
auf mich wirkte, sondern eine unerklärliche Traurigkeit tief in mir weckte.
Ich vermisste meine Mutter und meinen Vater, und Geschwister hatte ich keine. Nun war ich unterwegs zum Hof, wo ich vermählt werden sollte. Doch so sehr sich mein Herz nach jener Liebe sehnte, wie sie Troubadoure besangen und Poeten in ihren schönen Versen beschrieben – dieselbe Art Liebe, wie meine Mutter und mein Vater sie füreinander gehegt hatten –, ahnte ich, dass sie mir wohl kaum beschieden sein dürfte. Ländereien und Vermögen entschieden über Ehen, nicht Liebe, und die wenigsten jungen Damen, die einem Ehemann Land bieten konnten, durften deshalb auf eine Liebesheirat hoffen. Sogar königliche Hoheiten heirateten, um Verbündete oder Handelsabkommen zu gewinnen, und meine Zukunft lag in den Händen der Lancastrianer-Königin Marguerite d’Anjou, die mit fünfzehn Jahren einen wahnsinnigen König hatte heiraten müssen. Welches Mitgefühl konnte ich von ihr erwarten? Ihr Interesse galt einzig meiner Vormundschaft und Heirat, denn die Vormundschaft bescherte ihr ein angenehmes jährliches Einkommen, und meine Heirat würde ihr einen hübschen Gewinn einbringen.
Ich begriff nicht, warum die Welt so bitter war, aber das Schicksal suchte sich fraglos seine Lieblinge aus, und ein klein wenig hoffte ich – närrischerweise –, ich könnte zu den wenigen von ihm Begünstigten zählen. Bis dahin sehnte ich mich nach kleinen Freuden wie dem Bankett an diesem Abend, wo ich lachen, unter Männern meines Alters sein und die Leichtigkeit des Lebens spüren könnte.
Ein scharfer Verlustschmerz regte sich in mir, als ich den Kopf neigte und die ersten Töne des neuesten Klageliedes zupfte. Mit dem Lied sang ich all meinen Kummer hinaus, und die Melodie nahm mich derart gefangen, dass ich glaubte, meine eigenen Tränen in der Musik zu hören.
Wärmt mich nie der Sonne Strahl? Bleibt mir der Himmel grau?
Wird mein Herz nie Tanzen lernen? Stirbt es trüb und lau?
Bleibt die Liebe mir versagt, die schmerzlich ich ersehne?
Verloren bist du mir, auf immer, meine Schöne …
Ich blickte zum Himmel auf, den der Sonnenuntergang in ein Farbenspiel verwandelte. Während ich sang, nahmen die Wolken einen kräftigen Goldton an, der sich rosig vertiefte. Ein einsamer Vogel stieg hoch in die Lüfte, frei, überall hinzufliegen, wo es ihm beliebte. Abermals wandelten sich die Farben, und nun erfasste ein rotes Leuchten die Erde und tauchte alles in eine zarte Schönheit. Ich weiß nicht, was über mich kam, aber plötzlich empfand ich ein unbeschreibliches Sehnen, das ich weder definieren noch verstehen konnte. Indes fühlte ich, dass diese Leere und Einsamkeit einzig durch jenes Phänomen durchbrochen werden konnte, das die Poeten Liebe nannten. Ich beendete das Lied, senkte den Kopf und schloss die Augen. Stumme Worte kamen aus meinem Herzen, wandten sich flehend an das Schicksal und gaben ein Versprechen.
»Isabelle.«
Ich blinzelte. Es brauchte einen Moment, bevor ich wieder ganz bei Sinnen war. »Ja, Sœur Madeleine?«
»Wir können zu dem Bankett gehen, wenn du es wünschst.«
Staunen und Unglauben machten mich sprachlos. Meine Gedanken überschlugen sich wirr, und als ich schließlich die Bedeutung ihrer Worte erfasste, lachte ich vor Freude. Ich lachte zum Himmel, zu den Wolken, zu den Bediensteten, die unten im Hof den Gästen die Pferde abnahmen. Ich warf die Arme in die Höhe und lachte, wirbelte vom Fenstersitz weg und tanzte durchs Zimmer. Dann legte ich die Hände vor meinem Mund zusammen und sprach ein stummes Dankgebet, halb lachend, halb weinend, ehe ich mich aufs Neue im Tanz drehte. Als ich zu Sœur Madeleine blickte, entdeckte ich ein zartes Lächeln auf ihren Zügen.
Ich eilte zu ihr, ergriff ihre Hand und küsste die faltige Haut. »Ich danke Euch, liebste Sœur Madeleine.«
Sie wurde rot. »C’est rien «, murmelte sie. »Es ist nichts. Aber wenn wir gehen, würde ich empfehlen, dass wir uns beeilen, ma petite. «
Sogleich lief ich zu meiner Truhe und suchte nach meinem neuen Kleid aus edler lavendelblauer Seide und silbernem Sarsenett, das mit kleinen silbernen Blättern bestickt war. Noch nie hatte ich Gelegenheit gehabt, es zu tragen. Es hatte eine hohe Taille, einen tiefen Halsausschnitt mit Feh-Besatz, und auf dem Rücken bildeten breite Falten eine Schleppe. Beim Auspacken schimmerte es wie Mondenschein.
»Du musst sehr vorsichtig sein, Isabelle«, sagte Sœur Madeleine, als sie mir in das herrliche Kleid
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