0105 - Die Bestie von Soho
Das Grauen war bereits nah, nur merkte niemand etwas davon!
Auch nicht Donald Shuler, der Farmer, der an diesem frühen Abend noch über seine Felder schritt. Er ging über den schmalen Trampelpfad, der an der Nordseite des großen Roggenfeldes entlangführte und in einen Weg mündete, in dem breite Traktorreifen ihre Spuren hinterlassen hatten.
Der Weg führte geradewegs auf sein Haus zu, das er mit seiner Frau und den beiden Söhnen bewohnte.
Über dem Land lag ein grauer Himmel. Die Dämmerung schob sich langsam heran.
Noch dunkler war die gewaltige Wolke, die über den Himmel segelte und den Windstößen nicht so recht gehorchen wollte, denn sie trudelte einmal nach Westen, dann wieder nach Osten und beim dritten Mal in eine andere Richtung.
Fast schien es so, als würde die Wolke ein eigenes Leben führen…
Farmer Shuler hatte dafür keinen Blick. Ihn interessierte nur seine Ernte, und die würde in diesem Jahr wieder mager genug ausfallen. Der Boden gab nicht mehr viel her. Er mußte unbedingt gedüngt werden, doch Dünger kostete Geld, und Geld hatten die Shulers momentan nicht. Ihr Erspartes war draufgegangen, als sie sich eine neue Dreschmaschine kauften, jetzt standen sie ohne Reserven da.
Nur gut, daß sie noch den Garten hatten. So gelang es ihnen, als Selbstversorger über die Runden zu kommen. Und das Fleisch gaben ihnen die Tiere.
Die Wolke senkte sich inzwischen tiefer.
Unmerklich zwar, aber stetig näherte sie sich dem Erdboden. Sie hatte sich längst aus dem Grau des Himmels gelöst und war dabei, Kurs auf das einsam stehende Bauernhaus zu nehmen.
Davon sah Donald Shuler nichts.
Er erreichte die Einmündung des Weges, wandte sich nach rechts und schritt auf sein Ziel zu. Der Abendwind war unangenehm kalt.
Zu kalt eigentlich, denn seit zwei Tagen war es bereits Frühling.
Aber nur auf dem Kalender, denn in der letzten Nacht hatte es sogar geschneit, und so etwas tat keiner Ernte gut. Nicht bei Schneefall zu dieser Jahreszeit.
Shuler stellte den Kragen seiner Wetterjacke hoch. Obwohl er vierzig Lenze zählte, sah er aus wie ein Fünfzigjähriger. Das harte Leben hatte ihn geprägt und in seinem Gesicht Spuren hinterlassen.
Es erinnerte manchmal an eine Landkarte mit seinen zahlreichen Furchen und Einbuchtungen. Dafür besaß die Haut jedoch eine gesunde Farbe.
Der Bauer schritt durch die tiefen Traktorspuren. Getauter Schnee hatte Pfützen hinterlassen, manchmal schimmerte deren Oberfläche bunt. Das waren Ölrückstände, die man überall fand.
In Gedanken versunken ging Don Shuler weiter. Und noch immer fiel ihm die Wolke nicht auf.
Dann aber sah er sie.
Angewurzelt blieb er stehen.
Die Wolke hing genau über seinem Haus.
Aber was war das für eine Wolke, die an den Rändern heller und in der Mitte dunkler war? Allein ihr Anblick strömte eine Drohung aus, und der Farmer zog irritiert die Augenbrauen zusammen.
Was hatte das zu bedeuten? Normalerweise schwebten Wolken oben am Himmel, aber diese befand sich nur knapp über dem Dach seines Hauses.
Und nach Regen sah es auch nicht aus, denn dann würde die gesamte Wolkendecke tiefer hängen.
Ein ungutes Gefühl beschlicht den Farmer, und er hatte plötzlich Angst um seine Familie. Hester war mit den beiden zehnjährigen Kindern allein zu Haus. Der Farmer hätte es sich nie verziehen, wenn seiner Familie etwas geschehen wäre.
Er lief jetzt schneller und verfiel in einen Dauerlauf.
Sein Atem stand als heller Dampf vor dem Mund, während er den Kopf erhoben hielt, um die Wolke weiterhin zu beobachten.
Sie bewegte sich nicht.
Schon erreichte er sein Grundstück. Links erschien der alte Zaun, dahinter lag die Wiese, wo tagsüber die Gänse herumliefen.
Um diese Zeit jedoch waren die Tiere im Stall, auch die acht Kühe und fünfzehn Schweine.
Vor dem Bauernhaus befand sich ein größerer Platz. Dort wuchs auch die alte Linde, die ihre Äste ausbreitete und ein schützendes Dach bildete, unter dem auch die beiden Bänke standen. Sie leuchteten in einem satten Grün.
Die Stallungen befanden sich rechts neben dem Wohnhaus. Etwas dahinter lag die Scheune.
Ihr Dach mußte auch erneuert werden, denn an einigen Ställen regnete es bereits durch.
Donald Shuler lief auf die dicke Haustür zu und stieß sie auf. Bevor er jedoch eintrat, warf er noch einen Blick in die Höhe.
Die Wolke stand noch immer über dem Haus!
Hastig schloß der Farmer die Tür. Im Haus fühlte er sich geborgen. Hier war er sicher vor den Unbillen der Natur.
Weitere Kostenlose Bücher