Die Herrin von Avalon
die Flotte geschwächt. Die Hälfte der Truppen befindet sich im Norden und verstärkt die Garnisonen entlang dem Wall.« Da Carausius schwieg, sprang Allectus erregt auf und fragte: »Willst du deine barbarischen Verbündeten zu Hilfe rufen?«
Carausius wich seinem fragenden Blick aus und trat ans Fenster. »Wenn mir keine andere Wahl bleibt ... «
»Du hast eine andere Wahl!« rief Allectus leidenschaftlich. »Du hast den Wölfen bereits zuviel gegeben. Wenn du durch ihre Unterstützung gewinnst, werden sie noch mehr fordern!« Carausius schien ihn nicht zu hören. Aber Allectus ließ nicht locker. »Ich habe mich wie du der Aufgabe geweiht, Britanniens Freiheit zu schützen. Aber ich möchte lieber von Rom beherrscht werden als von sächsischen Barbaren!«
»Dein Herrscher ist ein Menapier!« erwiderte Carausius und bemühte sich, nicht die Beherrschung zu verlieren. »Britanniens Statthalter sind aus Gallien, Dalmatien und Spanien gekommen. Die Legionen, die Britannien verteidigen, tragen fremde Namen.«
»Vielleicht stammen diese Männer von Barbaren ab, aber sie sind inzwischen zivilisiert. In diesem Land wollen wir das Beste beider Kulturen verwirklichen. Die Sachsen und Germanen kennen keine Ideale, sie haben keine Moral, sie wollen nur ihre Bäuche füllen. Mit ihnen werden wir uns nie anfreunden, und ihre Nachkommen werden keine Wurzeln in Britannien schlagen!«
Carausius seufzte. »Vielleicht hast du recht. Du bist hier geboren ... « Er dachte voll Wehmut daran, wie er sein Blut der Priesterin gegeben hatte, um sich mit dem Land zu verbinden. Er hatte sein Leben dieser Aufgabe geweiht und würde alles tun, um seinen Schwur zu erfüllen. »Ich werde in den Süden gehen, wo sich die Menschen noch daran erinnern, daß ich ihre Häuser gerettet habe. Ich werde Truppen aufstellen und nach Gesoriacum übersetzen. Du verstehst die Kaufleute von Londinium besser als ich, Allectus. Bleibe hier und sei während meiner Abwesenheit mein Stellvertreter.«
Eine unerwartete Röte färbte die bleichen Wangen des jungen Mannes. Carausius verstand den Grund dafür nicht. Allectus mußte inzwischen doch wissen, daß er ihm vertraute. Der Imperator hatte allerdings keine Zeit, sich um die Gefühle eines jungen Mannes zu kümmern. Er ging zur Tür, rief seinen Sekretär und dachte bereits an die notwendigen Befehle vor der Abreise.
Der Anfang des Sommers war auf Avalon nach alter Sitte die Zeit, um die Woll-und Flachsstränge zu färben, die in der langen Winterzeit gesponnen worden waren. Es gehörte auch zu der Tradition, daß die Hohepriesterin sich persönlich an dieser Arbeit beteiligte. Sie sollte damit den Jungfrauen als gutes Beispiel vorangehen. Doch Dierna hatte schon immer den Eindruck, die Sitte werde nur deshalb beibehalten, um der Hohepriesterin einmal im Jahr eine Abwechslung von ihren anderen Aufgaben zu verschaffen. Die Arbeit war keineswegs einfach. Die Farben mußten genau gemischt werden, und das Eintauchen der Stränge erforderte Erfahrung und ein gutes Zeitgefühl.
Ildeg war ihre Färbermeisterin, und Dierna vertraute sich gern ihrer Führung an.
Mehrere Wollstränge hingen bereits tropfend hinter ihr an den Ästen einer alten Weide, deren Rinde noch vom Vorjahr blaue Stellen hatte. Entlang dem Bach standen mehrere dampfende Kessel. Ildeg ging von einem zum anderen und überzeugte sich, daß alles ordentlich und richtig gemacht wurde.
Die kleine Lina half Dierna. Sie brachte zwei neue Stränge und legte sie auf die Schilfmatte. Dann legte sie ein Holzscheit auf das Feuer. Die Flüssigkeit durfte nur simmern, aber nicht kochen.
Dierna nahm den nächsten Strang mit dem Haken auf und tauchte ihn langsam in den Kessel. Sie färbten mit Waid. An diesem Sonnentag war es tief blau wie das Wasser auf hoher See. Dierna war nur einmal mit Carausius aufs Meer hinausgefahren, als er sie auf sein Flaggschiff eingeladen hatte. Er lachte über ihre Unwissenheit und sagte, sie müsse das Meer kennenlernen, das ihre Insel umgab. Jetzt blickte sie in den Kessel und sah wieder das Meer. Der Haken mit der Wolle sorgte für Wellen und Strömungen und erzeugte sogar den weißen Schaum der Gischt.
Carausius wird möglicherweise auf See sein, dachte sie. Vielleicht kämpft er gerade gegen die Römer. Sie hatte die Nachricht erhalten, daß er sich mit allen Schiffen seiner Flotte auf dem Weg nach Gesoriacum befand. Aber er hatte Teleri nicht bei sich. Und selbst wenn Dierna eine Vision gehabt hätte, wäre es ohne
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