Die Hexe und der Leichendieb: Historischer Roman (German Edition)
sich möglicherweise doch noch um Kopf und Kragen geredet. Es gab ja noch die Diebstähle und Überfälle, die er in der Zeit nach seiner Flucht begangen haben sollte.
Auch Dirk selbst war glimpflich davongekommen. Sophie hatte von seiner Angst um das Seelenheil seiner Kinder gesprochen und sich mit Nachdruck für ihn eingesetzt, und so war er nur des Landes verwiesen worden.
Kaspar war geflohen, als Julius mit dem Grafen und seinen Männern durch das geöffnete Tor in die Burg eingeritten war. Niemandem war es aufgefallen. Die anderen Hexen, die Eva als Mitglieder des unheilvollen Satansbundes genannt hatte, waren ebenfalls entwichen, bevor man ihrer habhaft werden konnte. Es hieß, dass eine davon Ediths Mutter gewesen sei.
Marsilius selbst war ein zu wichtiger Mann, als dass Walter das Urteil über ihn hätte sprechen mögen. Das sollte der Herzog von Jülich tun, dessen Juristen sich ja auch schon mit Reinhards Schuld befassten.
Der Freiherr selbst hatte kein Interesse mehr für diese Fragen aufgebracht. Mit Schaudern dachte Julius an das, was geschehen war, bevor man ihnen die Burgtore öffnete: Marsilius hatte sich in der nebligen Nacht auf die tote Hexe geworfen und alle meinten, dass er seine Hure küsse, bis sie merkten, dass er der Leiche sein Messer in den Bauch rammte. Er war verrückt geworden, ohne Zweifel.
»Ach, Julius!«
»Bitte?« Er merkte auf.
»Ich habe es gar nicht verdient.«
»Was denn?«
Statt einer Antwort hakte Sophie ihn unter und führte ihn aus der Kammer hinaus ins Freie, wo die Sonne schien. Sie gingen zum Waldsaum, wo die Bank stand, und setzte sich auf die kalten Bretter. Sie hatte ihre Hand immer noch in seiner Armbeuge. »Ich habe Euren Beistand nicht verdient. Ihr seid viel zu geduldig mit mir«, seufzte sie. »Immer habe ich Euch nur Ärger gemacht – und trotzdem seid Ihr treu auf meiner Seite geblieben. Das werde ich Euch niemals vergelten können.«
»Aber so viel war es doch gar nicht«, erwiderte er mit einem wegwerfenden Lächeln und ging darüber hinweg, wie viel Überredungskunst es ihn gekostet hatte, den Herzog von Reinhards Schuld zu überzeugen, wie nahe ihm das Gespräch mit seinem Brotgeber gegangen war, wie ihn Ynons’ Entschluss, den langwierigen Behördenweg einzuschlagen, entsetzt hatte und wie er schließlich in schierer Verzweiflung in einem Gewaltritt zu Werner von Reifferscheidt gehetzt war, um Marsilius’ alten Feind davon zu überzeugen, dass er eine einmalige Gelegenheit habe, seinen Nachbarn in die Schranken zu weisen. Der Herzog sei damit einverstanden, hatte er erklärt. Eine Behauptung, die sich schnell als Lüge hätte erweisen können, doch der Herzog war nach Köln-Deutz geritten, wo die Schweden gegen die Stadt zogen, und wahrscheinlich würden ihn die Details des Skandals gar nicht mehr interessieren, wenn er zurückkehrte.
»Ihr seid der großzügigste und gütigste Mensch, den ich kenne.«
Julius lächelte. Einen Moment war er versucht, ihr zu beichten, welch unverhohlene Freude es ihm gewesen war, Marx im roten Schneematsch vor dem Palas zusammenbrechen zu sehen. Die Schmerzen des Mannes, der ihm Sophies Herz gestohlen hatte, waren wie Balsam für seinen eigenen Kummer gewesen. Aber er schwieg. Reue zu heucheln war nicht seine Sache. Ihm tat auch der boshafte Stich nicht leid, den er Marx später in der Nacht versetzt hatte. Er war zu seinem Widersacher in die Kammer gegangen, hatte sich nach seinem Befinden erkundigt und ihm im nächsten Atemzug erklärt, dass ihn sein Wohl eigentlich nicht interessiere. Und dann hatte er den kalten Satz von sich gegeben, der Marx’ Glück vielleicht für immer zerstören würde. Nicht das von Sophie. Julius war immer noch davon überzeugt, dass ihr an Marx’ Seite nur Unglück blühen würde. Nun würde sie den Kerl verlassen und hoffentlich anderswo ihren Frieden finden. Und genau das war es, was er hatte erreichen wollen.
Und Marx selbst?
Ach was. Gütig war nur der Heiland.
ber das Feld tobte einer der letzten Schneestürme des Jahres. Möglicherweise beging sie einen fatalen Fehler, als sie die Burg verließ, aber Sophies Lage war enttäuschend und machte sie zutiefst unglücklich. Sie musste handeln oder sich in ihr Schicksal ergeben – so sah sie es. Marsilius war am Vortag gestorben und sie selbst damit frei. Doch was sie sich für die Zeit nach seinem Tod erhofft hatte, war zunichte, und das würde sie nicht hinnehmen.
Sie zog ihre Kapuze fester über Kinn und Wangen, wo
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