Die Hexe und der Leichendieb: Historischer Roman (German Edition)
saßen.
Die graue Küchenkatze kam über den Hof gelaufen und strich dem Verurteilten um die Beine. Die Berührung reichte aus, ihn ins Stolpern zu bringen. Er stürzte auf die Knie, und während der Henker ihn auf die Beine zurückzerrte, erblickte er die beiden leeren Stühle, die Marsilius neben dem Brunnen hatte aufstellen lassen. »Holt euren Herrn aus dem Bett seiner Hure. Sagt ihm, gefrorenes Fleisch zerlegt sich schlecht!« Seine Stimme klang wie zerbrochen, aber der Blick war voll wilden Hochmuts. Erst Augenblicke später bemerkte Sophie, dass die Leute verstohlen zu ihr hinüberblickten. Sie spürte, wie ihr das Blut ins Gesicht schoss. Die Hure, natürlich. Der Verurteilte spielte auf Edith an. Nicht, dass er ein Geheimnis verriet. Marsilius gab sich keine Mühe zu verbergen, mit wem er seine Nächte teilte. Aber der Gefesselte war der Erste, der den Namen in ihrer Gegenwart aussprach, und einen Moment lang hasste sie ihn für die Demütigung.
Dirk Wolpmann, der Burgvogt, verschaffte sich Platz und schlug den Kerl zu Boden, wie es einem treuen Gefolgsmann zukam, dessen Herr beleidigt wurde. »Scheißer!«, brüllte der Henker und zerrte ihn wieder auf die Füße.
Der Delinquent hieß Marx, fiel Sophie plötzlich ein. Marsilius hatte seinen Namen durch den Palas gerufen, als er am vergangenen Abend betrunken aus dem Südturm zurückgekommen war, wo er ihn eigenhändig gefoltert hatte. Die Hände und der wollene Rock ihres Ehemanns waren mit Blut besudelt gewesen, und er hatte gelacht, als hätte er den Verstand verloren. »Der Dickschädel! Er will den Mord nicht gestehen«, hatte er gejohlt, während er die Hände am Rock der alten Märthe abwischte. »Aber ich komme wieder, Marx von Mengersen. Irgendwann wird deine Zunge sich lösen.«
Dass er persönlich die Folterinstrumente in die Hand genommen hatte, sorgte in der Burg für Erstaunen. Auch diese schmutzige Arbeit überließ man normalerweise ehrlosen Leuten. Aber Marsilius war mit dem Opfer entfernt verwandt gewesen, und damit erklärten sie sich seine Wut. Im Übrigen war den Leuten egal, was Marsilius mit dem Gefangenen anstellte. Der Kerl verdiente kein Mitgefühl. Er hatte einen jungen Mann ermordet, seinen eigenen Herrn, um an dessen Geldbörse zu gelangen. Glücklicherweise hatte der Müller von der Bannmühle in Manscheid die Untat beobachtet. Er war zur Wildenburg geeilt, und Marsilius und Dirk hatten den Mörder gestellt und zur Burg hinaufgeschafft.
Man hatte den toten Jüngling in der kleinen Kapelle im Obergeschoss des Wohntrakts aufgebahrt, und Sophie wusste, dass Marsilius Marx an seinen Sarg gezerrt hatte, in der Hoffnung, er würde, mit dem Leichnam konfrontiert, zu seiner Tat aussagen. Aber Marx hatte sich unter gotteslästerlichen Flüchen geweigert. Natürlich half ihm das nicht, weil es ja Zeugen gab. Es war gerecht, dass er starb. Nur wollte sie es nicht mit ansehen müssen.
Der Verurteilte hatte den Podest erreicht. Er blieb davor stehen und hob das Gesicht zur Sonne. Sein Haar glänzte, sogar die bräunlichen Stellen, in denen es mit Blut verklebt war. Wieder kroch Sophie der Mageninhalt die Speiseröhre hinauf, und plötzlich war ihr gleich, was das Gesinde dachte oder Marsilius mit ihr anstellen würde. Der Drang zu flüchten wurde übermächtig. Sie rannte mit geschürztem Rock aus dem Burghof, taumelte an der Remise und dem geweißten Treppenturm vorbei und lief über die Brücke, die die Hauptburg von der Vorburg trennte.
Aber sie hatte ihren Entschluss zu spät gefasst. Als sie die Pferdetreppe erreichte, die zur unteren Brücke hinabführte, tauchte plötzlich ihr Ehemann auf. Marsilius ritt auf dem Schimmel des Fremden, einem temperamentvollen Schlachtross, unter dessen schneeweißem Fell die Muskeln spielten. Das also hatte ihn aufgehalten. Er war ein Pferdenarr und hatte den sonnigen Wintermorgen für einen Ausritt genutzt.
Und offenbar nicht allein. Ihm folgte, ein wenig langsamer, die Hure, auf die der Mörder im Hof angespielt hatte. Es versetzte Sophie einen Stich zu sehen, wie elegant Edith im Sattel saß. Sophie war selbst eine gute Reiterin. Dass Edith ihr auf ihrem ureigensten Territorium Konkurrenz machte, verletzte sie fast noch mehr als die Dreistigkeit, mit der sie ihr den Gatten stahl.
»Was treibst du hier?«, hallte Marsilius’ Stimme über den Weg. Er hatte getrunken. Nicht so viel, dass er lallte oder sich unsicher bewegte, aber er sprach langsamer als gewöhnlich. In seinem jungen Gesicht
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