Die Hexe und der Leichendieb: Historischer Roman (German Edition)
gesponnen, als er bei ihnen gewesen war, und er hatte sich sein Teil zusammengereimt oder schlicht etwas erfunden. »Wieso lässt du dir von jemandem wie Julius etwas einreden!«
Marx zog sie weiter. Ohne Bewegung war die Kälte nicht auszuhalten. Sie hatten den Bach erreicht, und dahinter tauchte das Pfarrhaus auf. »Es soll dir gut gehen«, brachte er hervor.
»Und ich bin zu dumm, um zu begreifen, was ich dafür brauche! Ich könnte ihn erwürgen!«
»Was?«
»Julius!« Sie kochte immer noch. Der Kerl konnte froh sein, dass er die Burg bereits verlassen hatte. Nun sah sie es geradezu vor sich: Marx, sowieso nicht in bester Verfassung, musste sich von Julius sagen lassen, wie eigensüchtig es war, eine verwirrte junge Frau zu einer Ehe zu verleiten, die sie selbstverständlich bereuen würde, sobald sie wieder klar denken konnte. Dieser elende Intrigant!
Vor dem Pfarrhaus wartete ein Ehepaar. Ein junger Mann in einer blauen Hose und einem dicken Wollmantel und seine etwas ältere Frau, die eines der Häuser in der Vorburg bewohnten. Zielstrebig zog Sophie Marx voran.
»Mädchen, du hast mich betrunken gemacht«, klagte er, während sie die letzte Strecke hinter sich brachten. Jetzt konnte man zum ersten Mal auch hören, wie der Wein und der Anisschnaps ihr Werk taten. Er stolperte und sie half ihm aus dem Schnee. »Warum hast du …«
»Weil’s ja anders offenbar nicht geht!«
Marx blieb stehen und blinzelte, als er die beiden verfrorenen Menschen entdeckte. »Sophie, was …?«
Sie stieß die Tür auf und gab den Wartenden ein Zeichen einzutreten. Pater Ambrosius, der im Schein einer Lampe in seiner Heiligen Schrift blätterte, blickte erstaunt auf. Seine Verwunderung schlug in Schuldbewusstsein um, als er die Besucher erkannte, aber dann fasste er sich, legte das Buch beiseite und erhob sich. »Was für ein unerwarteter …«
»Traut uns«, sagte Sophie.
»Wie bitte?«
Marx, der nach dem Türrahmen griff, weil er schwankte, begann zu lachen.
»Ich habe die Zeugen herbestellt, die man dafür braucht. Aber macht es kurz. Ich bin in keiner rosigen Stimmung.«
»Und der Bräutigam?«, fragte Ambrosius zweifelnd. »Er sieht mir offen gestanden nicht aus, als wäre er in der Verfassung …«
»Ein Ja wird er schon noch hervorbringen!«
»Will er denn?«
»Zweifelt Ihr daran?«
Ambrosius zweifelte nicht. »Aber er muss ohne Hilfe stehen können, um getraut zu werden«, ordnete er an, weil Männer wohl immer irgendetwas befehlen mussten.
Marx ließ den Türrahmen los. Er legte seinen Arm um Sophie und zog sie wenig formell an sich. »Julius hat es gut gemeint«, sagte er, während er sich schwer auf sie stützte.
»Das glaubst du nur, du vertrauensseliger Tropf.«
»Er hat seinen Hals für uns riskiert. Verzeih ihm«, sagte Marx und blickte sie an.
»Aber …«
»Verzeih ihm. Wenn ich an seiner Stelle gewesen wär, hätte ich das Gleiche getan!«
Sie gab einen Laut von sich, der alles Mögliche bedeuten konnte, doch schließlich lächelte sie. Während sie den lateinischen Worten der Trauungszeremonie lauschte, die Pater Ambrosius sprach, hielt sie ihren Bräutigam fest. Nicht, dass er noch zu Boden stürzte. Aber als Marx sein Eheversprechen gab, klang seine Stimme klar und sicher: »Ja. Süßer Heiland – und ob ich will, von ganzem Herzen! Natürlich!«
Sie selbst sagte auch: »Ja.«
Dann küsste er sie, und er tat es wie immer schamlos und wundervoll.
Ihre Unterschriften mussten sie auf ein zerknittertes Blatt Papier setzen, das Ambrosius aus einer Kiste kramte und mit steifen Fingern beschrieb. Die beiden Zeugen – sie hießen Berta und Tylmann – malten ein Kreuz.
»Ich habe gerade eine unglaubliche Frau geheiratet«, murmelte Marx, als ihre Trauzeugen gegangen waren. In Pater Ambrosius’ Gesicht trat ein gerührtes Lächeln. Er ließ alle Feierlichkeit fahren und umarmte Sophie. Und dann umarmte er auch den Bräutigam, wobei er ihn für einen Geistlichen ungewöhnlich lange an sich presste. Mit einem innigen Kuss auf die Wange und einem schweren Seufzer gab er ihn schließlich frei.
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