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Die Hexenadvokatin

Die Hexenadvokatin

Titel: Die Hexenadvokatin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karla Weigand
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höchstens sechs Jahre dafür. Nötigenfalls würde sie Tag und Nacht lernen … Die Möglichkeit zu haben, sich Wissen aller Art aneignen zu dürfen (ohne dauernde elterliche Bevormundung), diese märchenhafte Aussicht hätte sie vollkommen glücklich gestimmt, wenn sie nicht so unendlich teuer erkauft worden wäre: Nämlich mit dem Leben ihres über alles geliebten Bruders.
    Erst sein Tod bot ihr die Chance, ein gutes Examen vorausgesetzt, einer der hochgeschätzten Räte des bayerischen Herzogs zu werden. Diese unerwartete Perspektive trieb ihr
die Tränen in die Augen, einerseits aus Schmerz wegen des schrecklichen Verlustes, andererseits aber auch aus einem ungeheuren Glücksgefühl heraus: Sich nicht länger darum bemühen zu müssen, die Aufmerksamkeit und das Wohlwollen irgendeines Adligen mit Wappen, Reputation seiner Sippschaft und möglichst großem Vermögen zu erringen, diese Aussicht stimmte sie nahezu euphorisch - trotz ihres schlechten Gewissens.
    Sie schämte sich furchtbar, wenn sie daran dachte, wie freudig sie den verhassten Stickrahmen samt dem Korb mit dem bunten Seidengarn in die Ecke geschleudert und wie gern sie stillgehalten hatte, als ihre Mutter ihr das schwarze hüftlange Haar mit einer großen Schere auf Kinnlänge gekürzt hatte.
    Sie würde ihr Leben selbst bestimmen können, wie jeder Mann - auch der bornierteste - dies ganz selbstverständlich durfte. Vorbei die trüben Aussichten, die sich ihr als untertänige Ehefrau irgendeines trägen und eitlen Adelssprosses geboten hätten, der nur Nachwuchs von ihr erwarten würde und einfältigen Gehorsam …
    Über die mannigfachen Stolpersteine, die ihr ganz zwangsläufig im Weg liegen und über die Schwierigkeiten, die sich aus dem dreisten Schwindel mit der gestohlenen Identität ergeben würden - darüber war sie zu diesem Zeitpunkt noch nicht bereit, nachzudenken.
    Die Erwachsenen hatten es schließlich so für sie, die eigentlich in ihrem Innersten noch ein Kind war, beschlossen. Nicht nur ihr Vater, letztendlich auch ihre Mutter wollten es so. Die Gräfin war zwar anfangs vehement gegen diesen dreisten Betrug gewesen, aber wie immer hatte sie sich dem Wunsch ihres Gemahls gebeugt; zumal auch der geschätzte, lebenskluge Pater Winfried für diese ungewöhnliche Idee geworben hatte.

    Und der Benediktiner hatte schlussendlich den Ausschlag gegeben. Er hielt den Plan zwar für sehr schwierig und reich an Tücken, aber dennoch für durchführbar - und er hatte sich bereiterklärt, als Mentor den künftigen »Studiosus« nach Italien zu begleiten. So konnte er Alberta, wenn nötig, abschirmen vor Kommilitonen, die sie, den vermeintlichen jungen Mann, zu »Wein, Weib und Gesang« verleiten wollten.
     
    »Rupert, mein Sohn, reiche mir deinen Arm«, hörte Alberta den Grafen laut sagen, wobei der Vater ihr seine Hand schwer auf die Schulter legte und ihr heimlich einen bedeutungsvollen Blick zuwarf. Mit gesenktem Haupt folgte sie schweigend mit ihrem Vater der Gräfin, die sich, wie Hilfe suchend, auf den Arm des Schlossgeistlichen stützte.
    Sie schlossen sich den Sargträgern an, die sich anschickten, Ruperts sterbliche Überreste in die Familiengruft derer zu Mangfall-Pechstein zu bringen. Ihnen folgten die Gouvernante, Frau Berta von Reichlin, die die beiden nachgeborenen Kinder des gräflichen Paares, den fünfjährigen Friedrich August und die sieben Jahre zählende Auguste Friederike an der Hand führte, sowie der aus dem bayerischen Kleinadel stammende Erzieher der Zwillinge Rupert und Alberta, Herr Lorenz von Hoferichter, der mit seiner sechzehn Jahre alten Tochter Freda erschienen war - die von allen seit zwei Jahren nur die »schöne Freda« genannt wurde; außerdem hatten sich Verwandte und enge Freunde der Familie dem Trauerzug angeschlossen. Ganz zum Schluss kamen noch der Schlossverwalter und seine Frau.
    Das übrige zahlreiche Gesinde auf Schloss Pechstein ging nicht auf den Familienfriedhof mit, sondern wandte sich wieder still und unauffällig seiner gewohnten Arbeit zu.

    Beim Anblick Fredas erinnerte sich Alberta an die höchst merkwürdige Begegnung mit der nahezu Gleichaltrigen in der düsteren, nur von Kerzenschein erhellten Eingangshalle am Sarg ihres Bruders. Es war kurz nach dem ersten Hahnenschrei - die Mägde waren soeben mit dem Schmücken des entgegen aller Tradition bereits geschlossenen Sarkophags fertig geworden.
    Die schöne Freda weinte herzzerreißend. Sobald sie sich von Alberta beobachtet wusste, hatte

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