Die Hexenadvokatin
Lehrern in denselben Fächern unterrichten zu lassen. Eigentlich war er dazu förmlich gezwungen worden, denn die Geschwister waren nahezu unzertrennlich.
Nun aber hatte es das Schicksal so gefügt, dass Albertas vielversprechende Anlagen doch noch zur Entfaltung kommen sollten - wenn auch in völlig anderer Weise als ursprünglich geplant: Graf Wolfgang Friedrich hatte nämlich, nachdem er von den näheren Umständen des tragischen Ablebens seines Ältesten erfahren und den ersten Schock verwunden hatte, eine Idee gehabt …
Und diese erörterte er kurz darauf mit Pater Winfried, seinem umfassend gebildeten Beichtvater aus dem idyllisch in
den bayerischen Bergen liegenden Kloster Ettal, der ihn nach Italien begleitet hatte.
Einer der Knechte wurde vorausgeschickt in die Heimat, mit einem Brief an die Gräfin, der genaue Anweisungen enthielt, die sie unter allen Umständen durchzusetzen hatte - auch wenn sich die Tochter sperrig zeigen sollte.
Ihr Gemahl wollte so bald wie möglich die Heimreise antreten; zuerst aber musste er noch einiges an der Universität in Bologna regeln, wo man sich gewiss schon Gedanken über das Verschwinden des deutschen Studiosus’ machte.
Nun, »sperrig« war gar kein Ausdruck! Alberta weigerte sich rundweg, die Befehle der Mutter auch nur zur Kenntnis zu nehmen. Ihr südländisches Temperament, Erbe der Gräfin, ging förmlich mit ihr durch:
»Mutter, Ihr seid offenbar - wahrscheinlich aus Kummer über den Tod meines Bruders - verwirrten Geistes! Wie sonst könntet Ihr von mir so - verzeiht meine Wortwahl - verrückte Dinge verlangen? Warum sollte ich mich jetzt nicht mehr in der Öffentlichkeit blicken lassen? Mich stattdessen im Turmzimmer ins Bett legen und so tun, als wäre ich todkrank? Verzeiht, liebste Frau Mutter, aber ich finde das - absurd.«
»Ehe du mich für geisteskrank erklärst, mein liebes Kind, lies diesen Brief deines Vaters.«
Damit überreichte die Gräfin ihrer Tochter das Schreiben des Grafen, dem der Pater, den jeder in der Familie liebte und verehrte, einen entsprechenden Nachtrag beigefügt hatte.
Alberta las, erschrak erst einmal zu Tode, wurde dann außerordentlich nachdenklich, überlegte lange - und fügte sich schließlich, wenn auch schweren Herzens. Obwohl sie ohne Zweifel die Klugheit von Vater und Beichtvater anerkannte und sicher war, dass beide Männer nur das Beste für sie im
Auge hatten, erfüllte sie dennoch ganz leise eine vage Ahnung zukünftigen Unheils. Zudem war sie noch wie benommen von der tiefen Trauer, mit der sie der Verlust ihres Zwillingsbruders erfüllte: In den Jahren ihrer Kindheit war Rupert ihr engster Vertrauter gewesen, sie hatten keine Geheimnisse voreinander und verbündeten sich allzu oft gegen Eltern und Hauslehrer. Schon als Rupert zum Studium fortgegangen war, hatte es Alberta einen solchen Stich im Herzen versetzt, dass sie dachte, sie würde nie darüber hinwegkommen. Und dass er sie nun gar für immer verlassen hatte, konnte sie einfach nicht fassen.
PROLOG, VIERTER TEIL
20. Mai 1603, auf Schloss Pechstein
ZEHN TAGE SPÄTER trafen lange nach Einbruch der Dunkelheit der Graf und Pater Winfried auf dem Schloss ein. Flink und unauffällig luden ein paar Fremde von einem mitgeführten Wagen einen Sarkophag ab, der die Leiche des Schlosserben barg.
Bei den Männern handelte es sich um Bedienstete des Nonnenklosters, von denen keiner der deutschen Sprache mächtig war - man wollte auf keinen Fall ein Risiko eingehen. Sie schafften die sterblichen Überreste des jungen Mannes in die große Empfangshalle des Schlosses, wo der Sarg auf einem bereitstehenden Katafalk zu liegen kam. Nach Beendigung ihres Auftrags machten sich die Knechte umgehend auf den Rückweg nach Santa Caterina.
Früh am nächsten Morgen würden die Schlossbediensteten für den nötigen Schmuck - Blumenkränze und Kerzen - sorgen. Danach hätten alle, die der gräflichen Familie verbunden waren, die Gelegenheit, den Trauernden ihr Beileid zum Tode ihrer lieben Tochter Alberta Amalia aussprechen.
Die junge Dame war an einer rätselhaften Krankheit - vielleicht an der Schwindsucht? - innerhalb weniger Tage verschieden: So lautete die offizielle Erklärung.
Wie der Himmel es gefügt hatte, war Herr Rupert, der Zwillingsbruder des Mädchens, gerade aus Bologna auf Urlaub heimgekommen. So vermochte er seinen gramgebeugten
Eltern Trost zu spenden - trotz seines eigenen unermesslichen Kummers über den Verlust der geliebten
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