Die Hexenadvokatin
sie sich die Tränen getrocknet und war auf sie zugegangen. Ganz nah war sie an die Grafentochter herangerückt und hatte in merkwürdig vertraulichem Ton geflüstert: »Meine Trauer um Eure Schwester ist zwar auch riesengroß, aber ich kann dennoch, wann immer Ihr wollt, versuchen, Euch Trost zu spenden, lieber, junger Herr.«
Dabei hatte sie flink nach Albertas Hand gegriffen und diese an ihren bereits voll entwickelten Busen gedrückt. Unwillkürlich, ohne zu überlegen, hatte Alberta ihre Hand zurückgerissen, was Freda ein trauriges, aber zugleich wissendes Lächeln entlockt hatte.
»Warum auf einmal so abweisend, mein Lieber? Sonst waren Euch meine Liebkosungen doch auch sehr willkommen?«, fragte leise das schöne Mädchen. Ehe ihr eine unbedachte Bemerkung entschlüpfen konnte, fiel Alberta zum Glück noch ein, dass sie nun in die Rolle ihres im Sarg liegenden Bruders geschlüpft war.
Wie es schien, waren sich Rupert und Freda näher gestanden, als irgendjemand im Schloss vermutet hätte. Nicht zum ersten Mal kam ihr in den Sinn, dass ihr geliebter Bruder doch eine ganze Menge vor ihr, seiner Schwester, verborgen hatte. Alberta hatte jetzt jedoch keine Zeit, darüber nachzugrübeln, sie musste stattdessen all ihre Kräfte darauf verwenden, die heikle Situation zu entschärfen:
»Ich weiß, dass du gleich mir bitteren Schmerz fühlst, Freda«, murmelte sie diplomatisch. »Und ich danke dir, dass du mir beistehen und mich trösten willst. Aber du musst verstehen, dass jetzt nicht die Zeit für Vertraulichkeiten ist. Man könnte uns beobachten.«
»Ich habe Euch sehr gut verstanden, gnädiger Herr.«
Damit hatte das Mädchen sich umgedreht und war mit hoch erhobenem Haupt aus der Halle stolziert.
Alberta war beinahe sicher, dass Freda von Hoferichter, die offenbar »schmutzige Spielchen« mit ihrem Bruder getrieben hatte, sich nicht für dumm verkaufen ließ. Ging fortan von ihr möglicherweise Gefahr aus? Sie nahm sich vor, die schöne Freda scharf im Auge zu behalten. Bald schon sollte sie die kleine Episode jedoch völlig vergessen haben.
»Anfang September wirst du wieder rechtzeitig in Bologna zum Studium sein, mein Sohn«, hörte Alberta ihren Vater sagen. Sie nickte. Sie würde mit dem ersten Semester beginnen müssen - aber das würde dort niemandem sonderbar vorkommen, denn, wie der Graf von den dortigen Professoren erfuhr, hatte ihr Bruder das erste Studienhalbjahr so gut wie überhaupt nicht genutzt und kaum etwas gelernt.
»Ja, Vater«, gab sie fest zur Antwort, »und dieses Mal werde ich mich mehr anstrengen als bisher. Das verspreche ich Euch.«
Bei sich aber dachte sie stolz: »Ab jetzt bin ich für alle Welt der Studiosus der Jurisprudenz, Rupert Wolfgang, Graf zu Mangfall-Pechstein. «
Sie würde es auf keinen Fall dulden, dass eine Freda von Hoferichter oder sonst jemand das schöne Lügengebäude zum Einsturz brächte.
KAPITEL 1
25. August 1603, auf Schloss Pechstein
»LASST MICH EUCH, Graf Wolfgang, und Euch, verehrte Frau Gräfin, nachträglich mein tief empfundenes Beileid ausdrücken zum schmerzlichen Verlust Eurer ältesten Tochter.«
Der Herzog von Bayern schien ehrlich betroffen zu sein. Obwohl ihm selbst und seiner Gemahlin, Elisabeth Renata von Lothringen, Kinder bisher versagt blieben, schien es, dass der im Allgemeinen sich nicht sehr gefühlvoll gebärdende Fürst den Kummer der Eltern nachzuvollziehen vermochte. »Immerhin hat Euch Gott Euren ältesten Sohn und die anderen beiden Kinder gelassen«, versuchte er sie zu trösten.
»Dafür danken wir dem Herrn alle Tage.« Der Gräfin schossen Tränen in die Augen. Der Herzog, der sich dieses Mal nur kurz auf Schloss Pechstein aufhalten wollte - die Jagdsaison war noch nicht eröffnet -, räusperte sich verlegen. Er hatte eigentlich vorgehabt, sich mit dem Hausherrn über anderes als unerwartet verstorbene Töchter zu unterhalten …
Der Graf spürte das und nahm seinen Gast beiseite.
»Herr Maximilian, Ihr habt doch noch etwas auf dem Herzen«, ermunterte er ihn, und der Herzog atmete auf.
»Ja, in der Tat, Herr Wolfgang. Mir ist da etwas zu Ohren gekommen, das geeignet ist, mich mit größter Unruhe und Kummer zugleich zu erfüllen.«
»Sagt mir einfach, um was es sich handelt, und ich will sehen, ob ich Euch helfen kann.«
Der Graf war einigermaßen verblüfft und der Herzog schien nicht gewillt, ihn lange im Unklaren darüber zu lassen, was ihn so beschäftigte. Er begann ohne Umschweife.
»Man
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