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Die Himmelsscheibe 01 - Die Tochter der Himmelsscheibe

Die Himmelsscheibe 01 - Die Tochter der Himmelsscheibe

Titel: Die Himmelsscheibe 01 - Die Tochter der Himmelsscheibe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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ihren Lippen Besitz. Wie lange war es her, dass sie sich furchtbar über die Macke ihrer Mutter aufgeregt hatte, sich ständig zu waschen, auch wenn sie gar nicht schmutzig war? Jetzt dachte sie ganz genau wie Lea. War es das, was ihre Mutter gemeint hatte, wenn sie behauptete, sie wäre jetzt erwachsen?
    Sie beugte sich so tief über den Eichentrog, dass ihre Haare beinahe im kühlen Wasser eintauchten, und schaufelte sich ein paar Hand voll des eiskalten Wassers ins Gesicht. Sie prustete und japste nach Luft und bedachte sich selbst in Gedanken mit einer ganzen Reihe wenig schmeichelhafter Bezeichnungen, weil sie nicht auf sich selbst gehört und die morgendliche Wäsche einfach übersprungen hatte -zumal es nicht Morgen, sondern Nachmittag war. Dann zwang sie sich mit einer gewaltsamen Anstrengung, den unterbrochenen Gedanken fortzuführen: Wo waren alle?
    Ihr Magen meldete sich mit einem hörbaren Knurren zu Wort und erinnerte sie daran, wie lang der gestrige Tag gewesen war und wie wenig sie gegessen hatte. Sie dachte an den Rest Fladenbrot, den sie in der Hütte gesehen hatte, aber die bloße Vorstellung, dass Achk vor ihr seine fauligen Zahnstümpfe hineingeschlagen haben könnte, löste ein so heftiges Gefühl von Übelkeit in ihr aus, dass sie sich plötzlich gar nicht mehr so hungrig fühlte.
    Statt zurück in die Hütte zu gehen, lief sie in die Richtung, in der sich der Weg ins Dorf mit dem gewundenen Pfad zur alten Schmiede kreuzte. Was hatte ihre Mutter in der vergangenen Nacht gesagt? Nach dieser Nacht steht das ganze Dorf noch tiefer in meiner Schuld. Vielleicht würde es ja wenigstens für ein Stück Brot und einen Bissen Fleisch reichen.
    Obwohl seit der Katastrophe ein halber Tag verstrichen war, war der Brandgeruch, der ihr entgegenschlug, noch immer eindringlich genug, um ihr den Atem zu nehmen. Sie hob die Hand vor den Mund und hielt sogar die Luft an, als sie den Bereich aus verbranntem Erdreich passierte, blieb dann aber trotzdem noch einmal stehen.
    Sie war allein. Und das Heiligtum, das ihr schon seit geraumer Zeit Unbehagen verursachte, war so nah, dass sie nur den Kopf hätte drehen müssen, um einen Blick auf die steinernen Riesen zu werfen, den Wohnort der Götter, wie die Sippe glaubte. Vielleicht war das ja noch nicht einmal so verkehrt. Vielleicht hatten Sarns zornige Götter das Feuer geschickt, um die ungläubige fremde Frau in ihre Schranken zu weisen, und vielleicht hatten sie auch schon zuvor Unglück über den Schmied gebracht, indem sie seinen Brennofen hatten zerbersten lassen.
    Es gelang Arri nicht, diesen Gedanken endgültig zu verscheuchen. Schauplätze von Katastrophen zogen Menschen für gewöhnlich an wie drei Tage altes Aas die Fliegen, und sie hätte zumindest erwartet, ein paar Neugierige anzutreffen, selbst wenn es nur ein paar Kinder waren. Rings um sie herum rührte sich jedoch nichts. Selbst der unversehrte Teil des Waldes, der sich an den verbrannten Bereich aus verkohlten Baumstämmen und zu Asche zerfallenem Unterholz anschloss, schien wie ausgestorben zu sein, als hätte das Inferno der vergangenen Nacht jedes Leben aus diesem Teil der Welt vertrieben.
    Arri verspüre ein kurzes, aber eisiges Frösteln und hatte es plötzlich sehr eilig, auf den direkten Weg zum Dorf abzubiegen. Es waren allerdings nur einige wenige Schritte, bevor sie wieder stehen blieb und ihr Herz heftig zu klopfen anfing. Im allerersten Moment konnte sie nicht einmal sagen, was es war, das ihr solche Angst einjagte, aber es war da, und es wurde mit jedem Atemzug schlimmer. Ihr Herz hämmerte. Ihr Mund war mit einem Mal so trocken, als hätte sie seit drei Tagen nichts mehr getrunken, und ihre Hände und Knie zitterten immer stärker. Denn ganz plötzlich wurde ihr klar, dass sie nicht hierher gehörte.
    Vielleicht war es dieser Moment, der ihr Leben endgültig und unwiderruflich änderte. Nicht all die zahllosen Gespräche mit ihrer Mutter. Nicht all die Gelegenheiten, bei denen sie weinend vor Angst oder Wut oder Scham nach Hause gerannt war. Nicht all die schlaflosen Nächte, in denen sie mit einem scheinbar grundlosen, aber quälend intensiven Gefühl von Einsamkeit und. Anderssein und mit klopfendem Herzen aufgewacht war. Sie verstand all das plötzlich, sie erinnerte sich an jeden einzelnen Moment der Enttäuschung und Scham, aber es war dieser Anblick, der ihr die Augen öffnete, und eine ganz einfache, aber grundlegende Erkenntnis: Nicht sie und ihre Mutter waren es, die anders

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