Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Himmelsscheibe 01 - Die Tochter der Himmelsscheibe

Die Himmelsscheibe 01 - Die Tochter der Himmelsscheibe

Titel: Die Himmelsscheibe 01 - Die Tochter der Himmelsscheibe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
Vom Netzwerk:
waren.
    Es waren alle anderen, die anders waren, und obwohl sie zuerst noch Schwierigkeiten hatte, diesem scheinbar unsinnigen Gedanken zu folgen, spürte sie doch zugleich, was für ein gewaltiger Unterschied das war.
    Natürlich war das Dorf nicht wirklich ausgestorben, aber es bot doch einen so ganz anderen, beunruhigenden Anblick, dass dieser allein vielleicht schon der Auslöser für jenes sonderbare Gefühl der Fremdartigkeit war, das Arri in diesem Moment ergriff und ihr Leben auf so nachhaltige Weise veränderte. Auf dem großen Dorfplatz bewegten sich Menschen, aber es waren zu wenige für diese Tageszeit, und die meisten von ihnen schlichen mit hängenden Schultern und müden Bewegungen dahin, manche hockten oder standen auch einfach nur da und starrten ins Leere. Auf der anderen Seite, nahe beim Fluss, spielten ein paar Kinder, doch auch ihr Spiel erschien Arri lustlos und matt; wie eine Pflichtübung, die sie hinter sich bringen mussten, weil ihre Eltern sie aus der Hütte geschickt hatten, und nicht wie etwas, das sie tun wollten.
    Eine allgemeine Stimmung dumpfer Müdigkeit lag über dem Dorf, die nicht nur alle Bewegungen, sondern auch alle Geräusche und jegliches Anzeichen von Leben dämpfte.
    Aber das allein war es nicht. Das hätte Arri nachvollziehen können: Das ganze Dorf war schlichtweg müde. Alle hier, gleich ob Mann, Frau, Kind oder Greis, hatten eine ungemein anstrengende und Kräfte zehrende Nacht hinter sich, und wahrscheinlich hatten nur die allerwenigsten lange geschlafen, so wie sie. Doch es war nicht nur die körperliche Müdigkeit, die sie gewahrte. Darunter lag eine andere, dumpfere Mattigkeit, die sie vielleicht schon von Anfang an gespürt hatte, die ihr aber nun tatsächlich zum allerersten Mal bewusst wurde.
    Zugleich sah sie, wie anders all diese Menschen waren, verschieden von der Gestalt her und dem Schnitt ihrer Gesichter, anders in ihrer Art, sich zu bewegen und zu reden, anders in ihrer Art, zu sein. Sie war inmitten dieser Menschen aufgewachsen. Ihr Anblick hatte zu ihrem täglichen Leben gehört, so lange sie sich zurückerinnern konnte. Und doch hatte sie plötzlich das Gefühl, sie zum allerersten Mal so zu sehen, wie sie wirklich waren. Alle hier waren von gedrungenerem Wuchs als sie und ihre Mutter, kräftiger, aber auch deutlich kleiner; selbst Rahn, der von allen Männern im Dorf der Allerstärkste und Kräftigste war, war nicht einmal so groß wie ihre Mutter, und kaum eine Handbreit größer als sie selbst. Die Gesichter der Leute hier waren flacher, grober und einfacher, und das unsichtbare Feuer in ihren Augen, das vielleicht einzig den wirklichen Unterschied zwischen dumpfem tierischem Verstand und dem eines Wesens ausmachte, das den Blick zum Himmel wandte und sich fragte, ob dort oben nicht vielleicht doch die Götter wohnten, schien weniger hell zu brennen.
    Arri wusste, dass das ungerecht war. Diese Menschen waren weder besser noch schlechter als ihre Mutter und sie, sie waren einfach nur anders.
    Und das bedeutete, dass sie nicht hierher gehörten.
    Lange Zeit blieb Arri reglos und schweigend am Rande des großen Platzes stehen und versuchte mit dem Verstand zu erfassen, was ihr Herz längst begriffen hatte. Ihre Mutter hatte gesagt, dass sie allerspätestens im nächsten Frühjahr von hier weggehen würden, und nun wusste sie auch, warum. Es hatte vielleicht noch nicht einmal wirklich etwas mit Nors Drohung zu tun, und wenn doch, dann auf eine viel tiefere, umfassende Weise, die außer den Menschen hier auch Mardan und die anderen Götter mit einschloss, zu denen sie beteten, und mit der Lebensweise, die sie als die richtige erachteten.
    Eine Bewegung am Rande ihres Gesichtsfelds erregte ihre Aufmerksamkeit. Arri sah genauer hin und erkannte eine sonderbar schief wirkende Gestalt, die auf der anderen Seite des Dorfplatzes aufgetaucht war und mitten im Schritt innegehalten hatte. Kron. Der Jäger musste sie im gleichen Moment erkannt haben wie sie ihn, und obwohl Arri viel zu weit entfernt war, um sein Gesicht zu erkennen, spürte sie seine Überraschung, sie hier zu sehen. Er schien auf eine ganz bestimmte Reaktion von ihr zu warten, aber Arri wusste nicht, auf welche.
    Sie blieb noch einige weitere Atemzüge lang stehen und erwiderte Krons Blick, dann drehte sie sich wieder um und schlug den Weg zur alten Schmiede ein, um über diesen Umweg nach Hause zurückzukehren; warum sie das tat und warum sie damit auch wieder direkt auf das Heiligtum zuhielt,

Weitere Kostenlose Bücher