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Die Himmelsscheibe 01 - Die Tochter der Himmelsscheibe

Die Himmelsscheibe 01 - Die Tochter der Himmelsscheibe

Titel: Die Himmelsscheibe 01 - Die Tochter der Himmelsscheibe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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reichte.
    »Du bist wirklich auf alles vorbereitet, wie?«, fragte Arri leicht überrascht.
    »Ich will nie wieder in die Verlegenheit geraten, mich mit nichts anderem als einem alten Schwert am Gürtel und einem schreienden Säugling im Arm mitten im Meer wieder zu finden«, antwortete ihre Mutter mit todernstem Gesicht.
    Arri blinzelte. »Wie?«
    »Geh schon.« Lea wedelte ungeduldig mit der Hand, aber in ihren Augen war nun auch ein verräterisches Funkeln. Arri sah sie noch einen weiteren Herzschlag lang verwirrt an, dann aber beeilte sie sich, nach dem Bach zu suchen, von dem ihre Mutter gesprochen hatte.
    Angelockt von einem plätschernden Geräusch umging sie ein kleines Waldstück und stieß an seinem Rand auf den Bach, der diesen Namen überdies nicht wirklich verdiente, denn er war nicht einmal zwei Schritte tief und vielleicht doppelt so breit, nur einer der für diesen Teil des Landes so typischen schmalen Wasserläufe, die das wogende Meer aus Gras und hüfthohem Heidekraut durchschnitten. Arri kam diese Landschaft ungewöhnlich und anziehend vor, aber auch ein bisschen unheimlich. Das Dorf, an dessen Rand sie aufgewachsen war und ihr gesamtes Leben verbracht hatte, lag inmitten dichter, scheinbar endloser und vielerorts wortwörtlich undurchdringlicher Wälder, sodass sie die ungewohnte Weite ringsum erschreckte. Wenn ihre Mutter ihr von ihrem früheren Leben und dem Meer erzählt hatte, hatte sie diese Geschichten immer sehr aufregend gefunden, aber eigentlich nicht wirklich verstanden, wovon sie sprach. Doch es musste dem hier nahe kommen - eine Landschaft, die nahezu vollkommen leer war, so weit das Auge reichte, und in der sich der Blick verlieren konnte, wenn man nicht Acht gab.
    Arri ließ sich Zeit, dem Befehl ihrer Mutter nachzukommen. Nachdem sie sich am Ufer des kaum zwei Handflächen breiten Baches in die Hocke gelassen und die Schale randvoll mit Wasser gefüllt hatte, setzte sie sie behutsam zu Boden, ließ sich vollends auf die Knie sinken und trank lange und ausgiebig von dem Wasser, das zwar kristallklar war und köstlich schmeckte, aber auch so kalt, dass sich ihre Lippen beinahe taub anfühlten, nachdem sie ihren Durst endlich gelöscht hatte. Sie stand auch jetzt noch nicht auf, sondern setzte sich ganz im Gegenteil ins Gras und schloss für einen Moment die Augen, um zu lauschen; nicht nur auf das leise Geräusch des Windes, der knisternd mit dem trocken werdenden Laub der Baumkronen über ihr spielte und auf dem kniehohen Gras Töne wie auf den Saiten eines fremdartigen, aber nicht unangenehm klingenden Instruments hervorrief, sondern auch und vor allem in sich hinein, auf das Durcheinander von Gefühlen und Gedanken, die sich zum Teil so heftig widersprachen, dass sie einfach nicht wusste, was nun richtig und was falsch war, oder überhaupt etwas davon.
    Da war eine dünne, schwache Stimme in ihr, die ihr sagte, dass sie zurückgehen sollte, bevor ihre Mutter anfing, sich Sorgen um sie zu machen und vielleicht kam, um nach ihr zu suchen, aber zugleich spürte sie auch, dass es nicht geschehen würde. Ihre Mutter hatte sie wahrscheinlich nicht wirklich fortgeschickt, um Wasser zu holen. In dem Beutel, aus dem sie die Schale genommen hatte, befand sich mehr als genug Wasser für sie beide und einen einzigen Abend. Vielleicht hatte sie sie weggeschickt, weil sie einfach allein sein wollte, und vielleicht hatte sie auch gespürt, dass es ihr, Arri, ganz genau so erging.
    Arri war verstört, verunsichert, verwirrt und ängstlich wie schon seit langer Zeit nicht mehr, und sie wusste auch nicht mehr, was sie glauben sollte. Alles war plötzlich so ganz anders. Die wenigen Worte, die ihre Mutter vorhin gesprochen hatte, hatten ihr Leben erneut und vielleicht noch grundlegender aus der Bahn geworfen als all die Veränderungen zuvor, die sie für so gewaltig gehalten hatte. Vielleicht hatte sie ihre Mutter zum allerersten Mal wirklich zweifelnd erlebt. Trotz allem, trotz aller Fehler, die sie gemacht hatte, allem, was Arri als ungerecht empfand und nicht annehmen mochte, trotz ihrer Launen und des unbestreitbaren Umstandes, dass sie manchmal ungerecht und selbstsüchtig war, auch ihrer eigenen Tochter gegenüber, war sie Arri bisher zugleich dennoch unfehlbar erschienen; der Mensch auf der Welt, der ihr Leben wie kein anderer bestimmte und letzten Endes behütete. Nun hatte sie zugegeben, einen Fehler gemacht zu haben, und auch wenn Arri noch nicht wirklich verstand, was sie damit gemeint

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