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Die Himmelsscheibe 01 - Die Tochter der Himmelsscheibe

Die Himmelsscheibe 01 - Die Tochter der Himmelsscheibe

Titel: Die Himmelsscheibe 01 - Die Tochter der Himmelsscheibe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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versuchte, sich selbst zu belügen und das Gegenteil zu behaupten. Dabei war es nicht einmal besonders schwer zu erraten, was ihre Mutter nun von ihr erwartete. Ganz offensichtlich hatte sie die Zeit genutzt, sich irgendwo versteckt, und sie, Arri, sollte sie nun suchen. Das war zwar möglicherweise eine echte Herausforderung, aber Arri war nicht nach Versteckspielen zumute; sie überlegte sogar ganz ernsthaft, ob sie jetzt einen Grund hatte, eingeschnappt zu sein. Schließlich war sie kein kleines Kind mehr. Dann aber zuckte sie mit den Schultern und machte sich auf die Suche.
    Anfangs war es nicht einmal besonders schwer. Bis zum Sonnenaufgang musste es noch eine gute Weile hin sein, wenn nicht mehr, aber das Gras war trotzdem schon feucht vom Tau, sodass ihre Schritte deutlich sichtbare Abdrücke darin hinterließen - und die ihrer Mutter natürlich auch. Von der Stelle hinter ihr, an der sie gestanden hatte, führten sie zur Quelle, bogen dann scharf nach rechts ab und verschwanden geradewegs im Wald, und das wortwörtlich.
    Neumond war erst seit einem Tag vorbei, doch der Himmel war wolkenlos, und das Licht der Sterne reichte aus, um Leas Fußspuren im Gras deutlich erkennen zu können. Zwischen den Bäumen jedoch herrschte fast vollkommene Dunkelheit, und auch nachdem sie die Augen geschlossen und ein gutes Dutzend Herzschläge lang abgewartet hatte, dass sie sich an die veränderten Lichtverhältnisse hier im Wald gewöhnten, wurde es nicht viel besser. Sie erkannte ihre Umgebung jetzt zumindest schemenhaft, doch es war trotzdem viel zu dunkel, um der Fährte eines Menschen zu folgen. Ganz davon abgesehen, dass es hier zwischen den Bäumen kein Gras gab, sondern nur Moos und Flechten und dürres Unterholz.
    Arris Mut sank, aber nur für einen Moment. Ihre Mutter verlangte oft Dinge von ihr, die schwer waren und mit denen sie sich nicht selten überfordert fühlte, aber sie hatte nie etwas Unmögliches von ihr erwartet. Die Aufgabe musste also zu lösen sein. Dieser Gedanke half. Furcht und Niedergeschlagenheit verschwanden, und eine kribbelnde Erregung ergriff von Arri Besitz. Zweifellos stand ihre Mutter irgendwo gut verborgen in den Schatten des Waldes und beobachtete sie, und sie hatte nicht vor, sie zu enttäuschen. Behutsam ließ sie sich in die Hocke sinken, tastete mit den Fingerspitzen über den von der Sommerhitze ausgetrockneten und rissig gewordenen Boden und strengte die Augen an, um in dem schwachen Licht so viel wie nur möglich zu erkennen.
    Nach einer Weile hatte sie Erfolg. Nur ein kleines Stück vom Waldrand entfernt entdeckte sie einen Ast mit einer frischen Bruchstelle und in gerade Linie dahinter ein niedergetretenes Mooskissen. Mit einem zufriedenen Lächeln richtete sie sich auf, folgte der Spur und entdeckte weitere, verräterische Hinweise darauf, dass jemand kurz vor ihr hier gewesen war: noch mehr geknickte Äste, noch mehr niedergetretenes Moos und eine frische Schleifspur im trockenen Laub, das den Waldboden bedeckte. Ein grimmiges Lächeln breitete sich auf Arris Zügen aus, als ihr klar wurde, wie wenig Rücksicht ihre Mutter auf ihrem Weg zwischen den Bäumen hindurch genommen hatte; aber die Erkenntnis ärgerte sie auch ein wenig. Sie kannte ihre Mutter nun wahrlich gut genug, um zu wissen, dass sie es ihr nicht absichtlich leicht machen würde. Vielmehr bewies die schon fast überdeutliche Spur, der sie tiefer in den Wald hinein folgte, wie gering ihre Mutter ihre Fähigkeiten einschätzte.
    Plötzlich verhielt sie im Schritt. Im allerersten Moment wusste sie selbst kaum, warum, dann wurde ihr klar, dass hier irgendetwas nicht stimmte. Die Spur aus geknickten Ästen und achtlos beiseite gefegtem Laub führte geradeaus weiter, was nichts anderes bedeutete, als dass ihre Mutter sich irgendwo dort vorne verbarg, und doch hatte sie für einen winzigen Moment das eindringliche Gefühl, beobachtet zu werden. Langsam drehte sie sich einmal im Kreis, sah sich dabei aus misstrauisch zusammengekniffenen Augen um und setzte ihren Weg schließlich fort, als sie nichts anderes als Schatten und Dunkelheit gewahrte.
    Sie hatte noch keine drei Schritte getan, als es über ihr in der Baumkrone raschelte. Erschrocken fuhr Arri herum, aber ihre Bewegung kam zu spät. Ein Schatten stürzte aus den Ästen des Baumes herab, unter dem sie gerade hindurchgegangen war, und ihr blieb nicht einmal Gelegenheit für einen überraschten Ausruf, da wurde sie auch schon getroffen und so wuchtig zu Boden

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