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Die historischen Romane

Die historischen Romane

Titel: Die historischen Romane Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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mich im Spiegel. Voilà, sage ich mir, ich bin der König der Welt. Von der Spitze meiner Hohlen Nadel aus beherrsche ich das Universum. In manchen Augenblicken schwindelt mir ob meiner Macht. Ich bin ein Meister der Energie. Ich bin trunken von Autorität.
     
    Aber ach, die Rache des Lebens lässt nicht lange auf sich warten. Monate später, in der tiefsten Krypta der Burg von Tomar, nun Herr des Geheimnisses der unterirdischen Ströme und der sechs heiligen Orte jener, die einst die Sechsunddreißig Unsichtbaren waren, letzter der letzten Templer und Unbekannter Oberer aller Unbekannten Oberen, will ich nun auch Cecilia heimführen, die Androgyne mit den eisblauen Augen, von der mich jetzt nichts mehr trennt. Ich habe sie wiedergefunden nach all den Jahrhunderten, seit sie mir damals geraubt wurde von dem Mann mit dem Saxophon. Sie balanciert gerade auf der Rückenlehne der Parkbank, himmelblau und blond, und ich weiß noch immer nicht, was sie unter dem duftigen Tüllröckchen hat.
    Die Kapelle ist in den Felsen gehauen, den Altar krönt ein beunruhigendes Tafelbild, das die Strafen der Verdammten in den Eingeweiden der Hölle darstellt. Einige kapuzenbewehrte Mönche flankieren mich düster, und noch schöpfe ich keinen Verdacht, fasziniert wie ich bin von der iberischen Phantasie ...
    Doch, o Grauen, das Bild hebt sich wie ein Vorhang, und dahinter erscheint, wunderbares Werk eines Arcimboldo der Unterwelt, eine andere Kapelle, in allem gleich der, in welcher ich knie, und dort, vor einem anderen Altar, kniet Cecilia, und neben ihr – eiskalter Schweiß perlt mir auf der Stirne, die Haare stehn mir zu Berge –, wen sehe ich dort mit höhnischem Grinsen seine Narbe vorzeigen? Den Anderen, den wahren Giuseppe Balsamo, den jemand befreit haben muss aus seinem Verlies in San Leo!
    Und ich? Jetzt schlägt der älteste der Mönche neben mir die Kapuze zurück, und ich erkenne das grässliche Grinsen von Luciano, wer weiß, wie er meinem Stilett entkommen ist, wie den Kloaken, der blutigen Schlammflut, die ihn als Leichnam hätte fortschwemmen sollen in die stillen Tiefen der Ozeane – nun ist er übergewechselt zu meinen Feinden aus verständlichem Rachedurst.
    Die Mönche werfen ihre Kutten ab und erscheinen gepanzert in einer bisher verborgenen Rüstung, auf ihren schneeweißen Mänteln ein flammendes Kreuz. Es sind die Templer von Provins.
    Sie ergreifen mich, zwingen mich, den Kopf zu drehen, und hinter mir steht nun ein Henker mit zwei missgebildeten Helfern, ich werde über eine Art Garotte gebeugt und mit einem rotglühenden Brandeisen zur ewigen Beute des Kerkermeisters geweiht, das infame Grinsen des Baphomet prägt sich für immer auf meinem Rücken ein – jetzt verstehe ich: damit ich Balsamo in San Leo ersetzen kann, oder auch: damit ich den Platz einnehmen kann, der mir seit jeher bestimmt war.
    Aber man wird mich erkennen, sage ich mir, und da alle nun glauben, ich sei er und er der Verdammte, wird mir gewiss jemand zu Hilfe kommen – zumindest meine Komplizen –, man kann nicht einen Gefangenen einfach durch einen anderen ersetzen, ohne dass es irgendwer merkt, wir sind nicht mehr in den Zeiten der Eisernen Maske ... Ich Träumer! Jäh begreife ich, während der Henker meinen Kopf über ein kupfernes Becken beugt, aus dem grünliche Dämpfe aufsteigen ... Das Vitriol!
    Mir werden die Augen verbunden, mein Gesicht wird in die ätzende Flüssigkeit gedrückt, ein brennender, unerträglicher Schmerz, die Haut an den Wangen, an Nase und Mund und Kinn wirft sich auf, zerfasert, zerläuft, es genügt ein Moment, und als ich an den Haaren zurückgerissen werde, ist mein Gesicht nicht mehr wiederzuerkennen, ein Blasenbrand, ein Blatternfraß, ein unsägliches Nichts, ein einziger Hymnus an die Widerwärtigkeit, ich werde ins Verlies zurückkehren wie jene Flüchtlinge, die den Mut hatten, sich zu entstellen, um nicht wieder eingefangen zu werden.
    Ah! schreie ich, besiegt, und, wie der Erzähler sagt, von meinen zerfressenen Lippen löst sich ein Wort, ein Seufzer, ein Hoffnungsschrei: Erlösung!
    Aber Erlösung wovon, alter Rocambole, du wusstest doch genau, dass du nicht versuchen durftest, ein Protagonist zu sein! Nun bist du bestraft worden, und zwar mit deinen eigenen Künsten. Du hast die Schreiber der Illusion verhöhnt, und jetzt – siehst du – schreibst du selber, mit dem Alibi der Maschine. Du redest dir ein, du wärst nur ein Zuschauer, weil du deine Worte auf dem Bildschirm liest, als

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