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Die historischen Romane

Die historischen Romane

Titel: Die historischen Romane Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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Lehre sein, mein Sohn: Hüte dich vor der Hure von Babylon, auch wenn sie dir in Gestalt der lieblichsten aller Kreaturen erscheint!«
    »Gewiss, ehrwürdiger Vater«, versicherte ich. »Aber sagt mir jetzt, ich habe munkeln gehört, dass der Cellerar dieser Abtei und vielleicht auch der Mönch Salvatore den Dolcinianern begegnet seien und irgendwie auch bei ihnen waren...«
    »Still, urteile nicht aufgrund von Gerüchten! Ich habe den Cellerar in einem Minoritenkloster kennengelernt – nach den Ereignissen, von denen ich hier erzähle, gewiss. Aber viele Spiritualen hatten in jenen Jahren, bevor sie Zuflucht im Orden des heiligen Benedikt suchten, ein recht bewegtes Leben geführt und ihre Klöster verlassen müssen. Ich weiß nicht, wo Remigius vorher gewesen war, ich weiß aber, dass er stets ein guter Mönch gewesen ist, jedenfalls was die Rechtgläubigkeit betrifft... Ansonsten... nun ja, das Fleisch ist schwach...«
    »Was wollt Ihr damit sagen?«
    »Nichts, nichts, was dich angeht. Diese Dinge brauchst du nicht zu wissen... Beziehungsweise, da wir hier schon davon sprechen... nun ja, ich habe munkeln gehört, dass der Cellerar gewissen Versuchungen nicht... Doch nein, das sind Gerüchte! Du musst lernen, dergleichen nicht einmal zu denken!« Er zog mich erneut fest an sich und deutete zu dem Marienbildnis auf der Säule empor. »Du musst dich der unbefleckten Liebe zuwenden. Siehe, in der Jungfrau Maria hat sich die Weiblichkeit sublimiert, und darum kannst du von ihr auch sagen, dass sie schön ist wie die Geliebte im Canticum Canticorum! Ja wahrlich, an ihr« – rief Ubertin hingerissen, das Antlitz entflammt von einer inneren Freude, ganz wie am Vortag der Abt, als er von seinen kostbaren Gemmen und goldenen Bechern sprach – »an ihr wird die Anmut des irdischen Körpers zum Zeichen der himmlischen Schönheit, und darum hat der Bildhauer sie auch zu Recht mit allen weiblichen Reizen versehen.« Er deutete auf die zierliche Büste der Jungfrau, die gestrafft und hochgestützt wurde durch ein schmales Korsett, an dessen Bändern die zarten Hände des Kindes spielten. »Siehst du? Pulchra enim sunt ubera q uae paululum supereminent et tument modice, nec fluitantia licenter, sed leniter restricta, repressa sed non depressa... Was empfindest du angesichts dieses lieblichen Bildes?«
    Ich errötete heftig und fühlte ein inneres Feuer in mir aufsteigen. Ubertin musste es gemerkt haben, vielleicht sah er auch die Glut auf meinen Wangen, denn er fügte sogleich hinzu: »Doch du musst lernen, das Feuer der übernatürlichen Liebe zu unterscheiden vom Entzücken der Sinne. Das ist sehr schwierig, auch für die Heiligen.«
    »Aber woran erkennt man die fromme Liebe?«
    »Ach, mein Sohn, was ist überhaupt die Liebe? Nichts in der Welt, weder Mensch noch Teufel noch sonst etwas, ist so zwiespältig wie die Liebe, denn sie dringt tiefer in deine Seele ein als alles andere. Nichts beschäftigt und bindet das Herz so sehr wie die Liebe. Deswegen kann sie dich, wenn deine Seele nicht die nötigen Waffen hat, um sie zu meistern und zu beherrschen, in tiefes Verderben stürzen. Auch Dolcino, glaube ich, wäre nicht ins Verderben gestürzt ohne die Verlockungen der Margaretha, noch wären ohne das dreiste und zuchtlose Leben auf der Parete Calva so viele Menschen dem Zauber seiner Revolte erlegen. Und merke, mein Sohn, dies sage ich nicht allein von der unfrommen Liebe, die natürlich allzeit zu meiden ist als ein Werk des Teufels, sondern ich sage es auch mit Furcht und Zittern von der frommen Liebe, von der des Menschen zu Gott und zu seinem Nächsten. Oft genug kommt es vor, dass zwei oder drei Menschen, Männer oder Frauen, einander von Herzen lieben und ehrlich zugetan sind, und wollen immer zusammenleben, und dann ist’s zur Hälfte Wollen und zur Hälfte Begehren. Ich gestehe dir, ein solches Gefühl empfand ich für hehre Frauen wie Clara und Angela. Und doch ist auch das sehr verwerflich, mag es sich auch nur im Geiste vollziehen und für Gott... Denn auch die Liebe, die du in der Seele empfindest, so du nicht gewappnet bist, sondern dich ihr mit Inbrunst auftust, kann dich zu Fall bringen oder zutiefst verwirren. Oh ja, mein Sohn, die Liebe hat viele Gesichter, zuerst entbrennt deine Seele für sie in zärtlicher Rührung, dann wird sie krank... Dann aber, dann spürt sie auf einmal die wahre Glut der göttlichen Liebe und schreit, bricht in ein großes Klagen aus, macht sich zum Stein, der in die Esse gelegt

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