Die historischen Romane
waren auch die gesandten aus Tortona die sich noch nicht entschieden hatten ob sie sich ergeben sollten oder nicht aber als sie mich hatten reden hören warfen sie sich lang ausgestreckt auf den boden und sagten wenn auch die Heiligen sich gegen sie stellten dann wärs besser sich zu ergeben denn lange könnts sô nicht weitergehn
und dann sah ich die Tortonesen die aus der stadt herauskamen männer frauen kinder und greise und alle weinten und klagten indes die alemannen sie wegführten als wärens schafe und andres schlachtvieh und die aus Pavia schrien Alé Alé und stürmten nach Tortona hinein mit äxten und hämmern und keulen und piken denn eine stadt dem erdboden gleichzumachen daz war ihnen eine grôsze lust
und gegen abend sah ich auf dem ganzen hügel einen grôszen rauch und Tortona war quasi nicht mehr da sô ist der krieg wie mein vater Galiaudo immer sagt der krieg ist eine grôsze böse Bestie
aber besser sie als wir
und am abend ist der kaiser ganz zufrieden in die Tabernacula zurückgekehrt und hat mir in die wange gekniffen wie es mein vater nie getan hat und dann hat er einen herren gerufen der kein anderer war als der gute kanonikus Rahewin und hat zu ihm etwas gesagt was ich nit gut verstanden hab aber er wollte daz ich schreiben lernte und den abakus und daz ich auch die grammatik lernte von der ich damals noch gar nix wuszte aber jetzt weisz ich so langsam allmêhelich was sie ist nêmlich eine sache die sich mein vater überhaupts nie nit hätte vorstellen können
wie schön es ist gebildet zu sein wer hätte das gedacht!
gratia agamus domini dominus also in summa Dank sei dem Herrn im Himmel dafür
aber eine kronik zu schreiben bringt einen schon ziemlîch ins schwitzen sogar im winter und ich fürchte auch daz die lampe alsbald erlischt und wie jener andre sagte der daumen schmerzt mich
2. Kapitel
Baudolino begegnet Niketas Choniates
»Was ist das?« fragte Niketas, nachdem er das Pergament in den Händen herumgedreht und einige Zeilen zu lesen versucht hatte.
»Das war meine erste Schreibübung«, antwortete Baudolino. »Seit ich das geschrieben habe – ich war vielleicht vierzehn und noch kaum mehr als ein Waldbauernbub –, trage ich es überall mit mir herum wie ein Amulett. Danach habe ich noch viele andere Pergamente beschrieben, in manchen Zeiten Tag für Tag. Es kam mir so vor, als ob ich überhaupt nur existierte, um abends aufzuschreiben, was mir tagsüber widerfahren war. Später genügten mir knappe monatliche Notizen, wenige Zeilen, um mich an die wichtigsten Geschehnisse zu erinnern. Und ich sagte mir, wenn ich einmal in fortgeschrittenem Alter sein würde – wie man es jetzt sagen könnte –, würde ich anhand dieser Aufzeichnungen die Gesta Baudolini verfassen. So trug ich auf meinen Reisen die Geschichte meines Lebens mit mir herum. Doch bei der Flucht aus dem Reich des Priesters Johannes ...«
»Priester Johannes? Nie gehört ...«
»Ich werde noch von ihm sprechen, vielleicht sogar zu viel. Was ich sagen wollte, bei jener Flucht habe ich meine Aufzeichnungen verloren. Es war, als hätte ich mein Leben selbst verloren.«
»Erzähl mir, woran du dich erinnerst. Ich sammle Bruchstücke von Geschehnissen, Splitter von Begebenheiten und gewinne daraus eine Geschichte, die sich anhört, als sei sie durchwirkt von einem Plan der Vorsehung. Du hast mich gerettet und mir dadurch das bisschen Zukunft gegeben, das mir noch verbleibt. Zum Dank will ich dir die Vergangenheit wiedergeben, die du verloren hast.«
»Aber vielleicht ist meine Geschichte ja sinnlos ...«
»Keine Geschichte ist sinnlos. Und ich bin einer von denen, die den Sinn auch dort zu finden wissen, wo die anderen ihn übersehen. Danach wird die Geschichte zu einem Buch der Lebenden, wie eine helltönende Posaune, deren Klang die Toten aus den Gräbern auferstehen lässt ... Ich brauche nur etwas Zeit, ich muss die Geschehnisse bedenken, sie miteinander verbinden, die Zusammenhänge entdecken, auch die weniger sichtbaren. Aber wir haben ja nichts anderes zu tun, deine Genueser sagen, es wird noch ein paar Tage dauern, bis sich die Wut dieser Hunde gelegt hat.«
Niketas Choniates, vormals Redner am Hofe, oberster Richter des Reiches, Richter des Velums und Logothet der Sekreta oder – wie man bei den Lateinern sagen würde – Kanzler des Kaisers von Byzanz, zugleich Geschichtsschreiber vieler Komnenen sowie der Angeloi, betrachtete neugierig den Mann, der da vor ihm stand. Baudolino hatte
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