Die historischen Romane
verstehen. Jemand, etwas hat gewollt, dass ich das, was die anderen mit den Befruchtern tun, mit dir getan habe. Es war richtig, entsprechend dem guten Teil der Natur. Sie wird es mir nicht vorwerfen können.«
»Aber du wirst neun Monate lang von der Gemeinschaft gehütet werden, und danach werde ich das neugeborene Wesen nie zu sehen bekommen.«
»Ich werde noch oft herkommen. Es dauert lange, bis der Bauch so dick wird, dass alle es merken. Wir werden uns nur in den letzten Monaten nicht sehen können, wenn ich der Großen Mutter alles gesagt habe. Und was das neugeborene Wesen angeht – wenn es ein männliches ist, wird man es dir geben, und wenn es ein weibliches ist, betrifft es dich nicht. So will es die Natur.«
»So wollen es dein Blödmann von Demiurg und diese halben Ziegen, mit denen du lebst!« schrie Baudolino außer sich. »Das neue Wesen gehört auch mir, ob es weiblich oder männlich ist!«
»Wie schön du bist, wenn du dich erzürnst, auch wenn man das nie sollte«, sagte sie und küsste ihn auf die Nase.
»Mach dir doch klar, dass sie dich nach der Geburt nicht mehr zu mir lassen werden, so wie deine Gefährtinnen nie ihre Befruchter wiedergesehen haben! So will es doch, eurer Meinung nach, die Natur, oder nicht?«
Sie machte es sich erst in diesem Augenblick klar und begann zu weinen, mit kleinen Schluchzern, wie wenn sie sich liebten, den Kopf an seine Brust gelegt und die Arme um ihn geschlungen, so dass er ihren zuckenden Busen spürte. Er streichelte sie, sagte ihr zärtliche Worte ins Ohr und machte ihr dann den einzigen Vorschlag, der ihm vernünftig schien: Sie solle mit ihm fliehen. Auf ihren entsetzten Blick hin sagte er, nein, das sei kein Verrat an ihrer Gemeinschaft. Sie sei einfach mit einem anderen Privileg ausgezeichnet worden und habe nun andere Pflichten. Er würde sie in ein fernes Reich mitnehmen, und dort würde sie eine neue Kolonie von Hypatien gründen, sie würde einfach die Saat ihrer fernen Mutter noch fruchtbarer machen und ihre Botschaft anderswohin verbreiten. Nur würde er dann an ihrer Seite leben und neue Befruchter finden, solche in Menschengestalt, wie vermutlich die Frucht ihres Leibes sein werde. »Wenn du fliehst, tust du nichts Böses«, sagte er, »im Gegenteil, du verbreitest das Gute ...«
»Also werde ich die Große Mutter um Erlaubnis bitten.«
»Warte, ich weiß noch nicht, wie diese Große Mutter ist. Lass mich nachdenken. Wir gehen gemeinsam zu ihr, ich werde sie schon überzeugen. Gib mir ein paar Tage Zeit, dass ich mir die richtigen Worte überlege.«
»Mein Lieb, ich will dich nicht nie mehr wiedersehen«, schluchzte sie auf. »Ich tue, was du willst, ich gebe mich als eine Menschenfrau aus, ich gehe mit dir in jene neue Stadt, von der du mir erzählt hast, ich werde mich wie eine Christin benehmen, ich werde sagen, dass Gott einen toten Sohn am Kreuz gehabt hat. Wenn du nicht mehr da bist, will ich keine Hypatia mehr sein!«
»Beruhige dich, mein Lieb. Du wirst sehen, ich finde eine Lösung. Ich habe Karl den Großen heilig werden lassen, ich habe die Magierkönige wiedergefunden, ich werde es auch schaffen, mir meine Braut zu erhalten.«
»Braut? Was ist das?«
»Das erkläre ich dir später. Geh jetzt, es ist spät geworden. Wir sehen uns morgen wieder.«
»Es gab kein Morgen mehr, Kyrios Niketas. Als ich nach Pndapetzim zurückkam, liefen mir alle entgegen, sie hatten mich schon seit Stunden gesucht. Es war nicht mehr zu bezweifeln: Die Weißen Hunnen nahten, man konnte am Horizont schon die Staubwolken sehen, die ihre Pferde aufwirbelten. Sie würden im ersten Morgenlicht an den Grenzen der Farnkrautebene sein. Es blieben uns nur noch wenige Stunden, um die Verteidigung vorzubereiten. Ich begab mich sofort zum Diakon, um ihm anzukündigen, dass ich den Oberbefehl übernehmen würde. Zu spät. Jene Monate qualvollen Wartens auf die Schlacht, die Anstrengung, die er sich abverlangt hatte, um sich auf den Beinen zu halten und bei der Unternehmung mitzumachen, vielleicht auch der neue Lebensmut, den ich ihm mit meinen Erzählungen eingeflößt hatte, hatten sein Ende beschleunigt. Ich hatte keine Angst, ihm nahe zu sein, während er die letzten Atemzüge tat, ja ich drückte ihm sogar die Hand, als er mir zum Abschied Sieg wünschte. Er sagte, wenn ich gesiegt hätte, würde ich vielleicht ins Reich seines Vaters gelangen, und darum bitte er mich um einen letzten Dienst. Sobald er verschieden sei, würden seine beiden
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