Die historischen Romane
nicht verstanden haben und die mir erst aufgegangen sind, als ich versuchte, sie dir zu erklären. So macht jede von uns sich weise, indem sie den anderen erklärt, was sie fühlt, und während sie es erklärt, lernt sie es selber verstehen. Wenn du nicht hier bei mir wärest, hätte ich mir selbst vielleicht einige Dinge nicht so klar gemacht. Du warst mein guter Geist, mein gütiger Archont, Baudolino.«
»Sind alle deine Gefährtinnen so klar und beredt wie du, meine liebreizende Hypatia?«
»Oh, ich bin unter ihnen die letzte. Manchmal machen sie sich über mich lustig, weil ich nicht ausdrücken kann, was ich empfinde. Ich muss noch wachsen, verstehst du? Aber in diesen Tagen habe ich mich stolz gefühlt, als hätte ich ein Geheimnis, das sie nicht kennen, und – ich weiß nicht, warum – ich habe es lieber für mich behalten. Ich verstehe nicht recht, was mit mir geschieht, es ist, als ob ... als ob ich das alles lieber zu dir sagte als zu ihnen. Meinst du, das ist etwas Schlechtes, bin ich unlauter zu ihnen?«
»Du bist lauter zu mir.«
»Bei dir ist es leicht. Ich glaube, dir könnte ich alles sagen, was mir durch den Sinn geht und ins Herz kommt. Auch wenn ich nicht sicher wäre, ob es richtig ist. Weißt du, was mir in diesen Tagen passiert ist, Baudolino? Ich habe von dir geträumt. Wenn ich morgens aufgewacht bin, habe ich gedacht, das wird ein schöner Tag, weil du irgendwo in der Nähe warst. Dann habe ich dich nicht gesehen und dachte, der Tag wird hässlich. Es ist seltsam, gewöhnlich lacht man, wenn man glücklich ist, und weint, wenn man leidet, aber mir passiert es neuerdings, dass ich im gleichen Augenblick lache und weine. Bin ich vielleicht krank? Dann ist es jedoch eine wunderschöne Krankheit. Ist es recht, seine eigene Krankheit zu lieben?«
»Du bist hier die Magistra, liebste Freundin«, sagte Baudolino lächelnd, »du darfst mich nicht fragen, auch weil ich, glaube ich, dieselbe Krankheit habe.«
Hypatia streckte eine Hand aus und berührte erneut seine Narbe. »Du musst etwas Gutes sein, Baudolino, weil es mir angenehm ist, dich zu berühren, wie es mir bei Akazio geht. Berühre auch du mich, vielleicht kannst du einen Funken wecken, der noch in mir ist und von dem ich nichts weiß.«
»Nein, mein Liebling, ich habe Angst, dass ich dir weh tue.«
»Berühre mich hier hinterm Ohr. Ja, so, noch mal ... Vielleicht kann man durch dich einen Gott herbeirufen. Du müsstest irgendwo das Zeichen haben, das dich mit etwas anderem verbindet ...«
Sie schob die Hände unter sein Gewand und ließ die Finger über seine Brusthaare gleiten. Sie kam näher, um an ihm zu riechen. »Du bist voller Gras, voller gutem Gras«, sagte sie. Und weiter: »Wie schön du dich anfühlst, du bist weich wie ein junges Tier. Bist du jung? Ich weiß nichts über das Alter eines Menschen. Bist du jung?«
»Ich bin jung, mein Liebling, ich werde gerade geboren.«
Er strich ihr jetzt fast mit Gewalt durchs Haar, sie legte ihm die Hände in den Nacken, dann fing sie an, ihm kleine Zungenstöße ins Gesicht zu versetzen, und leckte ihn ab, als ob er ein Zicklein wäre, dann lachte sie, während sie ihm aus nächster Nähe in die Augen sah, und sagte, er schmecke salzig. Baudolino war nie ein Heiliger gewesen, er drückte sie an sich und suchte mit den Lippen nach ihren Lippen. Sie stieß einen halb erschrockenen, halb überraschten Laut aus und versuchte sich ihm zu entziehen, dann gab sie nach. Ihr Mund schmeckte nach Pfirsich und Aprikose, ihre Zunge pochte mit kurzen Stößen an seine, die sie zum ersten Mal kostete.
Baudolino stieß sie zurück, aber nicht aus Tugend, sondern um seine Kleider abzustreifen, sie erblickte sein Glied, berührte es mit den Fingern, spürte, dass es lebendig war, und sagte, dass sie es wolle. Es war klar, dass sie nicht wusste, wie und warum sie es wollte, aber irgendeine Macht des Waldes oder der Quellen sagte ihr, was sie tun musste. Baudolino fing wieder an, sie mit Küssen zu bedecken, er glitt von den Lippen abwärts zum Hals, dann zu den Schultern, während er langsam ihr Kleid abstreifte, er legte ihre Brüste frei, tauchte sein Gesicht hinein, und dabei fuhr er mit den Händen fort, ihr Kleid abzustreifen, die Hüften hinunter, er fühlte den straffen kleinen Bauch, betastete den Nabel, stieß früher, als er erwartet hatte, auf das, was der Flaum sein musste, der ihr höchstes Gut bedeckte. Sie nannte ihn flüsternd mein Äon, mein Tyrann, mein Abyssos, meine Ogdoas,
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