Die Hochzeit meiner besten Freundin
aber von Nickys üblichen Vorlieben ab. Als wir studierten, hatte sie eine Schwäche für dürre, junge Bohemiens mit langen Haaren und lockeren Moralvorstellungen. Es machte ihr Spaß, sie am Wochenende mit nach Hause zu nehmen, um ihren überaus konservativen Eltern einen Schrecken einzujagen. Sie müssen Richard ja einfach wundervoll finden. Er hat einen guten Job und großartige Zukunftsaussichten, und er sieht blitzblank und geschniegelt aus – weiches, blondes Haar, sauber und glänzend, Designerbrille, Designeranzüge, kantiges Kinn. Genau dieser Typ. Eindeutig nicht mein Typ. Er sieht aus wie eine Mischung aus John Boy Walton und Clark Kent.
Hat er ein geheimes Alter Ego? Schlüpft er als Mr. Nice Guy mit strahlend weißer Calvin-Klein-Unterhose in Telefonhäuschen, um mit dreckigen Altherrenschlüpfern, Strumpfhaltern und Regenmantel herauszukommen, einen Stapel Visitenkarten mit dem Motto »Ruf an für eine heiße Nummer« umklammernd?
Und was dem geheimen Alter Ego noch mehr entspräche: Hat er insgeheim eine Geliebte, die er irgendwo versteckt?
Die Tatsache, dass er Nicky höchstens zweimal pro Woche sieht, könnte dafür sprechen, dass er ziemlich beschäftigt ist, doch was macht er mit dem Rest seiner Freizeit? Er scheint viel zu langweilig zu sein, als dass er irgendwie interessant sein könnte.
Ich weiß nicht, warum ich annahm, Richard auszuspionieren wäre aufregend. Da war es spannender, die letzten dreißig Meilen von Kelang nach Singapur im strömenden Regen zu laufen, nachdem der Bus eine Panne hatte, weil sein vierzig Jahre alter Rasenmähermotor den Geist aufgegeben hatte.
In den letzten zwölf Tagen habe ich in Nickys alter Karre gesessen und alle Frauenmagazine gelesen, die es gibt, von Cosmopolitan bis zur dümmsten, billigsten Zeitschrift für Klatsch und Tratsch. Ich habe Nickys Handyrechnung in die Höhe getrieben, indem ich bei sämtlichen Gewinnspielen mitgemacht und ihr regelmäßig das Aktuellste über Richard berichtet habe, was sich üblicherweise auf ein »ist gerade zur Arbeit gefahren« oder ein »ist gerade nach Hause gefahren« beschränkte.
Ich habe an der beschlagenen Scheibe rumgeschmiert, Solitär gespielt, vor dem Rückspiegel nach den neuesten Falten gesucht (und eine beunruhigend hohe Zahl entdeckt, fürchte ich) und mich wieder mit sämtlichen Schokoladensorten vertraut gemacht, die es nur in Europa gibt – ein wundervoller Zeitvertreib… aber ich verrate Ihnen besser nicht, in welch unanständig kurzer Zeit ich das geschafft habe.
Ich habe chronisch blaue Flecken an der rechten Pobacke von dieser blöden Sprungfeder, und mein ganzer Hintern weicht durch vom vielen Rumsitzen.
Ich bin so gelangweilt, dass ich sogar eine Spinne beobachte, die zwischen Rückspiegel und Windschutzscheibe ihr kompliziertes Netz webt. Die langen Beine schwingen hin und her wie ein Dirigent, der sein Orchester durch ein diffiziles, heikles Musikstück führt.
Die Spinne braucht fast zwei Stunden, bis sie die zarten Fäden fertig gesponnen hat – und dann fällt der Rückspiegel ab.
Könnte das eine Analogie auf das Leben sein? Möglich, aber ich glaube, ich werde depressiv, wenn ich weiter darüber nachdenke.
Aus meinen bisherigen Beobachtungen schließe ich, dass der Kerl aus dem Gebäude neben Richards, in dem eine Firma für Baugutachten untergebracht ist, eine Affäre mit seiner Sekretärin hat; dass die hübsche, junge, italienisch aussehende Frau, die in der Kneipe zwei Häuser weiter hinter der Theke arbeitet, zwei Beziehungen nebeneinander hat; und dass der Seniorpartner von Richards Firma eine Frau, eine Ex-Frau und zwei Mätressen in sein durchorganisiertes, Viagra-getriebenes Leben gepresst hat. Richard dagegen scheint bisher nichts zu tun, außer zu arbeiten, zu schlafen und dieselben langweiligen Abläufe durchzuziehen, aus denen seine langweilige, kleine Welt besteht.
Wir haben es geschafft, ein Treffen zwischen ihm und mir zu vermeiden, indem wir behaupten, dass ich meinen Flug verschoben habe und erst in zwei Wochen komme. Was mir nur zu lieb ist, weil es bedeutet, dass ich den Pflichtanruf bei meiner Mutter noch um mindestens zwei Wochen aufschieben kann.
Es war nicht allzu schwer, ihm aus dem Weg zu gehen, da er in den letzten Wochen nur zweimal bei Nicky aufgetaucht ist und ich mich in dieser Zeit auf ihre Bitte hin unsichtbar gemacht habe. Ich glaube, dahinter steckt eher ihre Befürchtung, ich könnte Richard beim ersten Aufeinandertreffen umbringen, als
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