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Die Höhle in den Schwarzen Bergen

Die Höhle in den Schwarzen Bergen

Titel: Die Höhle in den Schwarzen Bergen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
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Ich habe keinen Weißen getötet, und die weißen Männer können mich nicht anklagen. Sobald ich ein Mann bin, können sich mich auch nicht mehr in ihre Erziehungsgefängnisse einsperren.«
    »Harka Steinhart, ich habe eine Bitte.«
    »Das kann ich dir nicht verwehren. Aber du darfst mich nichts bitten, was ich dir abschlagen muß.«
    »Laß uns Blutsbrüder werden, ehe du gehst, damit ich gewiß weiß, daß du eines Tages zu unseren Zelten zurückkehrst.«
    »Das mag geschehen!«
    Jeder der beiden jungen Burschen zog seinen Dolch und ritzte den Arm, so daß das Blut hervorsickerte. Sie mischten das Blut, und das war ihnen das Zeichen, daß ihre Bruderschaft unverbrüchlich sein sollte.
    Als Harka das spitze zweischneidige Messer in die Scheide steckte, schaute er noch einmal seinen Freund an, den er nun lange nicht mehr sehen sollte. Tief prägte er sich das Bild der festen, aufrechten Gestalt ein.
    Dann schwang er sich auf seinen Mustang, und ohne ein weiteres Wort, auch ohne noch einmal zurückzusehen, trieb er das Tier zu einem leichten Galopp in die nächtliche Prärie hinaus.
    Stark wie ein Hirsch schaute dem Davonreitenden nach; er sah, wie der Schatten des jugendlichen Reiters kleiner wurde, und das Geräusch verklang im Ohr des Zurückbleibenden. Dieser Abschied war im Leben des Häuptlingssohnes, das bis dahin ruhig und in festen Bahnen verlaufen war, der erste große Schmerz und die erste große unbeantwortete Frage. Wer trug die Schuld, daß Harka fortgeritten war? Die weißen Männer? Mattotaupa? Auch die Krieger der Siksikau, die an diesem Abend kein freundschaftliches Wort mehr mit Harka gesprochen hatten?
    Um die Mundwinkel von Stark wie ein Hirsch zuckte es. Er mochte nicht zu den schlafenden Kriegern gehen. Er legte die Hand auf den Riß in seiner Haut, aus dem sein Blut gedrungen war, um sich mit Harkas Blut zu vereinigen. Er hatte einen Blutsbruder. Das war sein Geheimnis. Zu niemandem würde er darüber sprechen. Vielleicht gab es einen einzigen Menschen, der ihn verstehen konnte, in seiner Trauer und in seinem Zweifel. Sitopanaki würde etwas davon ahnen. Es war gewiß, daß sie das gleiche empfand wie ihr Bruder Stark wie ein Hirsch, wenn Harka nicht zu den Zelten zurückkam.
    Lange stand der junge Siksikau allein. Endlich zwang er sich, zu den anderen zurückzugehen und sich wieder schlafen zu legen. Sie brauchten nicht zu wissen, wie tief er verletzt war.
    Schon vor dem Morgengrauen war Stark wie ein Hirsch wieder wach. Er erlebte das Verblassen der Sterne, das häßliche Grau, mit dem die Dämmerung schon anhub, ehe die Sonne über den Horizont stieg, und endlich die immer wiederholte und immer wieder neue Pracht und Macht des Lichtes, das über Himmel und Erde erstrahlte. Die Oberfläche des Sees wurde zu einem goldenen Spiegel, und die zähen Weidenzweige, graugrün beblättert, unscheinbar, spielten mit einem sanften Windhauch und den Sonnenstrahlen. Stark wie ein Hirsch tränkte die Pferde und setzte sich dann allein an den Uferplatz, an dem er am vergangenen Abend mit Harka zusammen gesessen hatte. Die Mücken spielten noch nicht, aber die Fische tummelten sich schon im durchsichtigen Wasser.
    Kluge Schlange kam zu dem Jungen herbei, und Stark wie ein Hirsch stand auf.
    »Du hast noch mit Harka gesprochen?« fragte ihn Kluge Schlange.
    »Ja. Ehe er fortritt. Wenn er alt genug ist, um die Proben eines Kriegers zu bestehen, wird er wieder zu unseren Zelten kommen.«
    Kluge Schlange schaute hinaus auf den See, ohne weiter etwas zu sagen.
    Als eine halbe Stunde vergangen war, kam aus dem Palisadentor, das schon geöffnet war, ein langer Kerl hervor, den die beiden Indianer sofort als Charlemagne erkannten. Er zwirbelte seinen Knebelbart und lief geradewegs auf die Siksikau zu. Kluge Schlange und Stark wie ein Hirsch hatten sich wieder zu den anderen um das Feuer gesetzt und taten, als hätten sie Charlemagne nicht beobachtet. Der Jäger in seiner bunten fransen- geschmückten Kleidung machte bei der Gruppe halt. »Schöner Morgen!« sagte er.
    Die Indianer antworteten ihm ebensowenig, wie sie Abraham am Tage vorher geantwortet hatten, als er den Abend schön pries, und sie sahen mit noch weniger Achtung und Höflichkeit auf Charlemagne als am Abend auf den Wirt.
    »Wo ist denn der Junge, der Harry? Wollte ihn gern noch einmal sprechen.«
    »Fort«, erwiderte Kluge Schlange.
    »Wieso fort?« Charlemagne war verwundert.
    »Fort«, wiederholte Kluge Schlange.
    »Wann kommt er wieder?«
    »Das

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