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Die Höhle in den Schwarzen Bergen

Die Höhle in den Schwarzen Bergen

Titel: Die Höhle in den Schwarzen Bergen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
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sein Pferd zu suchen, dem er die Büffelhautdecke umgeschnallt hatte. Der Weg zu der Waldwiese, auf der er das Tier zurückgelassen hatte, war weit. Harka huschte durch den nächtlichen winterlichen Wald. Er schlug zunächst den Weg zu jener Lichtung ein, auf der das Zeltlager der Bärenbande vor der Wanderung zum Pferdebach gestanden hatte. Harka lief schnell, vermied es aber nach Möglichkeit, Spuren zu hinterlassen. Den Felsen mit dem Haupteingang der Höhle umging er auf seinem jetzigen Wege; dieser Fels lag einige hundert Meter höher als die Lichtung, der Harka zustrebte. Da er diese Lichtung in den letzten Tagen völlig unbewohnt und einsam gefunden hatte, gebrauchte er jetzt nicht mehr als die üblichen Vorsichtsmaßnahmen. Als er in die Nähe des Platzes gelangte, stieg er auf einen Baum. Die Äste waren kahl, boten also kein gutes Versteck, aber Harka gewann den Überblick über die Lichtung, die mit sanftem Gefalle am Berg lag. Sie war dünn beschneit, die Schneedecke war stellenweise von Tieren aufgekratzt.
    Am oberen Ende der Lichtung lag ein riesiger Felsblock. Auf der Lichtung selbst waren jetzt, nach zwei Sommern und einem Winter, für ein geübtes Auge immer noch die Stellen zu sehen, an denen jene starken Pflöcke, die die Zeltplanen halten mußten, eingerammt gewesen waren. Harka konnte genau die Stellen bezeichnen, an denen sein väterliches Zelt, das Zauberzelt und das Zelt seines Freundes Tschetan gestanden hatten. Auch die runden Feuerstellen zeichneten sich noch ab. Vielleicht war die Lichtung unterdessen noch einmal bewohnt gewesen, und fremde Zelte hatten wieder an denselben Plätzen gestanden.
    Das alles beschäftigte Harka, aber viel mehr beschäftigte ihn die Tatsache, daß sein Grauschimmel zu dieser Lichtung hier gewandert war, die er von früher her gut kannte, und daß ein zweites lediges Pferd bei ihm stand, ein kaum weniger kräftiger und stolzer Mustang, den Harka sofort erkannte. Das war ein Tier aus dem früheren Besitz seines Vaters! Die beiden Pferde standen beieinander und fraßen einträchtig das Gras, von dem sie mit den Hufen den Schnee wegscharrten. Es dämmerte. Von Osten her glitten die Sonnenstrahlen wie goldene Pfeile durch das Geäst der Bäume. Die Schatten wichen zurück. Auch auf der Lichtung wurde es hell. Wie oft hatte Harka den Sonnenaufgang hier erlebt! Der kleine Bach, der am Rande der Lichtung hinabklickerte, leuchtete in der Morgensonne auf; tiefer unten rauschte der Fluß, der das Bergmassiv im Süden umfloß. Dort hatten die Knaben gebadet und gespielt. Jetzt lag alles einsam.
    Die Erinnerungen wollten Harka überwältigen. Er glaubte Untschida zu sehen, Uinonah und die Mutter, die hier noch im Zelte gelebt hatte, auf dem Zuge zum Pferdebach aber bei Beginn des Kampfes mit feindlichen Pani durch eine verirrte Kugel getötet worden war. Eine Krähe krächzte, doch war es nicht eine jener zwölf Krähen, die auf einem toten kahlen Baum saßen und, beschienen von der Morgensonne, ihre Flügelfedern durch den Schnabel zogen. Diese Krähe, die gekrächzt hatte, war überhaupt keine Krähe. Harka kannte ihren dreimaligen Ruf genau und antwortete auf die gleiche Weise.
    Da trat in der Nähe der beiden grasenden Pferde Harkas Vater hinter einem Baum hervor. Die Zöpfe fielen ihm rechts und links vor die Schultern. Er trug keine Feder im Haar, aber Skalphaare an den Nähten der Leggings, schwarze Haare, von indianischen Skalpen. Seine Kleidung, der Büffelpelzrock, der bis über die Hüften fiel, die Pelzmokassins, waren für den Winter wohl geeignet. Er trug eine Büchse in der Hand. Hoch aufgerichtet stand er bei seinem Pferd und schaute hinüber und hinauf in die Baumkrone zu Harka. Sein Haar hatte noch mehr graue Strähnen bekommen, seine Züge waren tief eingeprägt; um Augen und Mund lagen Schatten, die die Sonne nicht wegnahm.
    Harka kletterte rasch von dem Baum herab, ließ sich vom letzten Ast auf die Erde fallen und rannte zu seinem Vater hin.
    Mattotaupa betrachtete seinen Jungen, den abgemagerten, sehnigen jungen Burschen, mit seiner zerschundenen Haut, den blau angelaufenen Prellungen an den Schultern, der durchnäßten Kleidung. Der Blick der beiden traf sich, und für jeden der beiden blieben Fragen offen, die nicht rasch und vielleicht nicht mit Worten beantwortet werden konnten.
    »Du bist allein, Harka Steinhart?«
    »Allein.«
    Mattotaupa besaß Jagdbeute. Das Fleisch war roh, aber Harka hielt bei dem Frühstück tüchtig mit. Er hatte Hunger.

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