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Die Hure und der Henker

Die Hure und der Henker

Titel: Die Hure und der Henker Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingeborg Arlt
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Feuerstein komme jeder zu ihr! Gehe denn hier nichts ohne sie? Müsse sie
sich auch um die Sonne noch kümmern? Sie wisse nicht, wo ihr der Kopf stehe! So
ein Durcheinander überall!
    Simon, der
das graue Wetter mitten im August ja nicht angerichtet hatte, schob die Brote
wortlos und verbissen ungesonnt in den Ofen. Die Handwerker gingen auf
Zehenspitzen durchs Haus. Die Frauen sprachen die glückliche Braut nicht mehr
an. Diso, weißzottig und selbstbewusst, versuchte es noch mit Schwanzwedeln,
wedelte, wenn er Judith sah, stürmisch, dann weniger stürmisch, dann
gemäßigter, mäßig, hielt den Schwanz still, ließ ihn sinken und schlich zuletzt
resigniert um die Ecke. Und selbst Judiths Vater wagte keinen Protest mehr, als
seine Tochter, ohne anzuklopfen, in seine Studierstube eindrang, um ihn an die
noch nicht beglichenen Rechnungen für Brautmesse und Glockengeläut zu erinnern!
    Die Wahrheit ist: Valentin
fiel ihr damals nicht einmal ein.
     
     
    »Valentin? Welcher Valentin?«
    Fragend sah
sie ihren Bräutigam an. Sie besaß keinen Vetter, der Valentin hieß. Ihre
Verwandtschaft war zwar groß, nicht so sehr von Seiten des Vaters, dem nur eine
alte Schwester noch anhing, als vielmehr durch ihre früh verstorbene Mutter,
die eine geborene Chemnitz war und einen sehr bedeutenden Anhang mitbrachte.
Seit Generationen schon waren die Chemnitze Bürgermeister und Ratsherren in
dieser Stadt, seit einiger Zeit stellten sie dem Lande auch Vizekanzler und
Räte. Ganze Wagenladungen von bedeutenden Onkeln, Großonkeln und Vettern der
verschiedenen Grade musste sie auf der Suche nach einem Valentin vor ihrem
inneren Auge vorüberziehen lassen. Sie fand Chemnitze in Treuenbrietzen,
Kyritz, Braunschweig und Werben. Sie fand Nikoläuse, Matthiasse, Johanns,
Sabells und Joachims. Einen Valentin fand sie nicht.
    Aber der
junge Kober, ihr Bräutigam, meinte auch keine Verwandtschaft.
    Wo stehe denn
geschrieben, dass die beiden Hochzeitsbitter unbedingt Verwandte sein müssten!
    Ihrem Vetter
Henning Chemnitz war das Söhnlein gestorben; der kam für das Ehrenamt nun nicht
mehr in Frage. Aber Wams, Rock, Hosen, Stiefel – alles für den langen Henning
sei fertig. Es gehörte zu den Pflichten des Bräutigams, die beiden
Hochzeitsbitter zu kleiden. So ein Anzug sei teuer, sagte Kober. Valentin habe
die gleiche Statur.
    »Valentin
Klein, Jungfer Judith. Ihr kennt ihn.«
    Allerdings.
Ja. Bei dem Namen Klein erinnerte sie sich dann doch.
    An eine ferne Schulstunde
nämlich. An einen Apriltag vor fünfzehn Jahren. An ein Bersten und Krachen
ihrem Schulfenster genau gegenüber. An sackende Mauern und kollernde Balken. An
Dröhnen, Staubwolken, durchgehende Pferde. An Rennen, Rufen, Gekreisch und
Geschrei.
    »Die Klein! Die Kleinsche!«
    »Welche
Kleinsche?«
    »Bartel
Kleins Witwe!«
    »Die den
Jungen hat?«
    »Die beim Gerber wohnt, die.«
    Während die
Mädchenschulmeisterin hinter ihr die ersten Mädchen schon wieder in die Bänke
zurücktrieb, hatte sie vom Fenster aus zugesehen, wie man unten auf dem Platz
eine reglose Frau aus den Trümmern des Ratskornbodens zog. Wie man nicht weit
davon einen kleinen Bengel festhielt, der fünf oder sechs Jahre alt gewesen
sein mochte, zu seiner Mutter wollte und um sich schlug, trat, biss, spuckte
und kratzte.
    »Ach, dieser
Valentin. Ja, Kober. Gut.«
    Aber in Wirklichkeit fand sie
es nicht gut. In Wirklichkeit fand sie es auch nicht schlecht. In Wirklichkeit
waren ihr die Hochzeitsbitter egal, denn sie verstand das alles nicht. Lange
genug hatte man von dieser Hochzeit gewusst. In der Audienzstube des Rathauses,
in der Amtsstube des Pfarrherrn, in Läden und Werkstätten, Küchen und Kammern,
Ställen und Höfen war die Verbindung von Magister Heinischens Tochter mit dem
Sohn des Bürgermeisters Balthasar Kober Gegenstand von Gesprächen gewesen.
    »Der junge
Kober? So eine Antiquität nimmt der sich?«
    »Geld kommt zu Geld, du
Kalbshirn. Bei solcher Mitgift nähme auch ich eine Alte!«
    »Wieso? Wie
alt ist sie denn?«
    »Schon sechsundzwanzig!«
    Geschichten
von vergeblicher Liebesmüh und abgewiesenen Freiern wurden wieder erzählt. Die
Legende von Kobers Abenteuern an der Wittenberger Universität lebte auf.
Monatelang mutmaßte man heimliche und unheimliche Gründe, argwöhnte man
mütterliche Einmischung und väterliche Weisung, rätselte man um die Höhe der
Mitgift, wurde der Umfang des Kober’schen Vermögens geschätzt. Wochenlang
verfolgte man die Vorbereitungen, zählte die

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